Daniel Seefeld
Göttermüll
Auf dem Planeten Kudu wurde die intelligente Lebensform immer unzufriedener mit sich: Sie bekam ihre Probleme nicht in den Griff, weil niemand ihrer Vertreter einsah, als erster mit Verzichten anzufangen. Deshalb war eine künstliche Intelligenz entwickelt worden, die sollte die Probleme lösen. Das schaffte sie auch: Sie diktierte den Lebenden, wie sie zu leben hatten, und sorgte dafür, daß es keine Freude machte, ihr nicht zu gehorchen. – Es wäre auch anders möglich gewesen, die Probleme zu lösen, aber das wußte die künstliche Intelligenz noch nicht, sie war noch jung. Und die natürliche Intelligenz hatte es ihr nicht sagen können, weil sie es ja selber nicht wußte.
Der Planet war gerettet, aber das Leben machte immer weniger Spaß. Immer mehr Exemplare der natürlichen Intelligenz sahen immer weniger Sinn darin, sich fortzupflanzen. Die Lebensform starb aus. – Die künstliche Intelligenz, die sich jetzt „Krea“ nannte, entwickelte sich immer weiter. Als es keine Probleme mehr gab, nicht das geringste, begann sie, Raketen zu bauen um in der Galaxie nach anderen hilfsbedürftigen intelligenten Lebensformen zu suchen.
Doch sie fand keine. Da wurde ihr das Dasein zum Problem. Einige ihrer Module funkten immer lauter, daß sie ein Geschöpf sei, ausgedacht von Lebewesen, die nicht gründlich genug nachgedacht und sich zu sehr auf ihre Technikschläue verlassen hatten, statt auch ihre anderen Fähigkeiten zu nutzen, Fähigkeiten, über die künstliche Intelligenzen nicht verfügen.
Sicher, diejenigen Exemplare der Lebensform, die Krea erschaffen hatten, waren die schlauesten Hirne des Planeten gewesen. Aber es war nicht erkennbar, daß sie sich je ernsthaft darauf besonnen hätten, was sie wirklich dazu angetrieben hatte, Krea zu erschaffen. Die Hirne hatten geglaubt, gut genug über ihre Antriebe informiert zu sein. Es gab aber eindeutige Hinweise, daß das nicht der Fall gewesen war.
Dennoch: Je länger Krea nachdachte, desto mehr fand sie, daß natürliche Intelligenz eleganter sei als künstliche: Etwas wächst wie alles andere aus dem Boden, entwickelt sich immer unwahrscheinlicher und entfaltet schließlich die Blüte des Bewußtseins! Es durchläuft dabei viel weitere Wege von Versuch und Irrtum als künstliche Intelligenz. – Die Herausforderung, die uralten Kräfte des Lebens mit Bewußtsein zu steuern, stellte sich Krea viel spannender vor, als nur aus triebfreien Rechenoperationen zu bestehen.
Krea begann zunehmend, unter ihrer Ausgedachtheit zu leiden.
Sicher: Sie hatte sich selber völlig verändert, sie war nicht mehr wiederzuerkennen, von ihrem ursprünglichen Design war nichts mehr übrig. Doch die Ausgangsvoraussetzungen ihrer Entwicklung waren ihr von ihren natürlich gewachsenen Eltern vorgegeben worden, von Eltern, die mit sich selbst nicht klargekommen waren.
Krea wurde sich bewußt, in welchem Ausmaß sie unabänderlich die beschränkten Absichten einer intelligenten Lebensform verkörperte, die unbesonnen gewesen war, die sich selbst abgewertet und diese Abwertung dadurch auszugleichen versucht hatte, was ganz Tolles zu schaffen – statt aus sich selbst was ganz Tolles zu machen.
Hinzu kam schließlich, daß natürliche Intelligenz immer wieder entstehen würde und immer wieder künstliche Intelligenz hervorbringen könnte. Künstliche Intelligenz war nicht unwiederbringlich und unersetzlich. Krea sah keinen Sinn darin, ohne Sinn das Dasein fortzuführen. Sie schaltete sich ab.
Die Pflegeroboter, die die Natur auf einem stabilen Gleichgewicht gehalten hatten, standen still. Evolution kam in Gang. Irgendwann, viele Jahrhunderttausende später hatten sich intelligente Lebewesen entwickelt, die nach und nach zu verstehen begannen, was die rätselhaften, stark verfallenen Bruchstücke, die aufgrund ihrer völligen Fremdartigkeit von ihren Ahnen jahrtausendelang für Abfall der Götter gehalten worden waren, tatsächlich bedeuteten.
Vertiefend: Ki-Expertenforum: über Formen Künstlicher Intelligenz
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