Mogelpackung auf ZDF-Kultur

(Offener Brief an die Leiterin der Hauptredaktion Kultur des ZDF)

Sehr geehrte Frau Reidt,

in einer Dokumentation über Mozart, die Sie eingekauft haben, erfahre ich etwas über Mozartkugeln, über die Touristenmagnete in Salzburg und darüber, daß Salzburg im Winter besonders eindrucksvoll ist und die berühmten Weihnachtsmärkte Einheimmische wie Besucher anziehen. – Alles unterlegt mit einem der ausdrucksvollsten und wichtigsten Werke Mozarts.

Gut, es gibt auch einen Überblick über Mozarts Biographie. Aber immer wieder erhalte ich Informationen, die eher aus einem Prospekt für Touristen stammen könnten: daß ein Haus, in dem Mozart gelebt hat, im Krieg schwer beschädigt aber später liebevoll restauriert wurde. – Wieviele Dachziegel der Stephansdom hat. – Daß ein Theater zu den besterhaltensten seiner Art gehört und auch einige Opernszenen für den Film Amadeus hier aufgenommen worden seien, und daß irgendetwas bei den Besuchern aus aller Welt beliebt sei.

Ein Strauß-Walzer samt Tänzern wird in den Film eingeblendet, sowie die sinfonische Dichtung „Die Moldau“ von Smetana, letztere mit der Vermutung: „sicher hat auch Mozart die Kraft dieses Flusses gespürt“.

Die Bilder sind fast ständig mit Mozarts Musik unterlegt, darunter einige seiner prägnantesten Themen, teilweise fetzenhaft zusammengestoppelt. Wer zusieht wird regelrecht „genudelt“.

Es wird immer nur behauptet, Mozarts Musik habe die Hörer von den Stühlen gerissen. Es gibt in der ganzen Sendung aber nicht den geringsten Hinweis darauf, was daran die Hörer von den Stühlen reißen kann, geschweige denn, wie sich sein Werk am besten erschließen läßt.

Die Aussagen, die es über seine Musik gibt, sind dümmlich (daß Mozart die Vielfalt des Orchesters nutze), und teilweise schlicht falsch (daß der Klang des Orchestes in seinen Werken seiner Zeit um Jahrzehnte voraus sei.)

Um das ganz klar zu sagen: Eine solche Sendung zählt nicht zum Bildungsauftrag. Das ist schlichtweg Schrott, der niemanden für Bildung gewinnt und Bildung eher verhindert. Es ist eine Mogelpackung, die den Zuschauenden Tourismuswerbung als Dokumentation über Mozarts Werk unterschiebt. Und ich fürchte, das ist bei den anderen Pseudodokus über „berühmte Komponisten“ ebenfalls der Fall.

Ich frage mich, wie es bei Ihnen zu der Entscheidung kommt, Geld für derart fragwürdige Produktionen auszugeben. Es macht den Eindruck, als ob die Redaktionen beim ZDF nicht über professionellen Sachverstand verfügen.

Es wäre eigentlich die ureigenste Aufgabe von ARD und ZDF, dem teuersten Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk der Welt, die Schätze unserer Kultur den Menschen, die sie noch nicht kennen, zugänglich zu machen.

Ich würde gerne von Ihnen oder anderen Verantwortlichen wissen:

Wie wird im ZDF über diese Aufgabe diskutiert?

Was wird dafür getan, neue Wege zu entwickeln, klassische Kulturschätze zugänglich zu machen auf eine für alle attraktive Art und Weise? – Welche Entwicklungsprojekte hat das ZDF da – oder welche gibt es in Auftrag – oder welche unterstützt es?

Aus meiner Sicht sollte es mittlerweile selbstverständlich sein, daß bezüglich solcher Fragen eine Transparenzpflicht besteht, damit die Öffentlichkeit als Korrektiv Ihre Arbeit unterstützen kann. – Das ist übrigens eine Forderung aus den Reihen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks selbst: Intendant und Justiziar des Deutschlandfunks forderten, „in dieses Geschehen Transparenz nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in programmlicher Hinsicht zu bringen, Öffentlichkeit herzustellen und die zivilgesellschaftlichen Kräfte zu bewussten Mitakteuren … zu machen. (E.Elitz und D. Stammler, zitiert nach: Kammann Uwe et al., Im Spannungsfeld, Zur Qualitätsdiskussion öffentlich-rechtlicher Fernsehprogramme (2007) https://www.grimme-institut.de/publikationen/studien/p/d/im-spannungsfeld/ S.61ff)

Mit freundlichen Grüßen

Winfried Lintzen

PS.:

(1) Diese „offenen Fragen“ sind veröffentlicht auf der Internetseite:  https://www.goethesfaust.com/stichprobe-zdf-kultur. – Ich sende sie auch an Joachim Huber vom „Tagesspiegel“.

(2) Aus meiner Sicht könnten Sie dem ZDF einen großen Gefallen tun, wenn Sie anregten, „Goethes Faust in 90 Sekunden“ aus dem Netz zu entfernen. Der Beitrag ist an Einfallslosigkeit und Unverstand nicht zu überbieten. Die Tragödie Margaretes wird banalisiert. Eine derart bagatellisierende Darstellung eines von einem Mann herbeigeführten schockierenden Frauenschicksals war schon zur Zeit der Entstehung dieses Beitrags völlig antiquiert um nicht zu sagen: völlig daneben.

(Diesen Beitrag mailte ich der Leiterin der Hauptredaktion Kultur im ZDF Frau Anne Reidt am 11.04.2021. – Frau Reidt hat nicht darauf geantwortet (Stand: 23.12.2021). (Der hier veröffentliche Text ist eine leicht verbesserte Fassung.)

 

 

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