lieder eines fahrenden gesellen

von daniel seefeld

(lesezeit: 12 minuten)

1 marja
2 diana
3 regina
4 was dem chronist der ereignisse um dornröschen entging
5 natascha (wie mann dornröschen nicht wach kriegt)

 

1 diana

gegen abend bin ich in der fremden stadt angekommen, in einer unfaßbar weitläufigen altbauwohnung. ich bin ganz allein, weil sie entmietet wird.

ich habe ein warmes bad genommen. die wanne ist ganz neu, die alte rissige wand verschimmelt, es war gegen 1 uhr nachts, und aus dem radio klang ein mozart-klavierkonzert. doch die ganze zeit suchte mich der wunsch heim, sie anzurufen – aus der wanne heraus, wie in den krampfhaft anspruchsvollen filmen, in denen alle immer so wichtig tun. – doch ich ließ es. – sie hatte nie etwas von mir gewollt, dennoch hatte sie mich zum abschied umarmt und gesagt: „paß auf dich auf!“ kann man nach einem solchen abschied noch anrufen?

ich liege in einem leeren zimmer in einem fremden bett. neben mir, auf die schmutzige hellblaue tapete, ist mit einem kuli „ich“ gekritzelt. darüber hängt an einem dicken nagel ein verblichenes gummi.

es ist morgen. aber was soll ich hier? ich bin gewohnt, daß meine ganze zeit sich um sie dreht, daß alles nur davon kündet, daß ich sie sehen werde, selbst über wochen des nichtsehens hinweg. aber nun, wo ich weggegangen bin, beginnt alles zu wanken, ich spüre keinen festen boden und befürchte, verschlungen zu werden von der zügellosen flut der geschehnisse und dinge, die ihr da sein sonst bändigte. es ist, als habe etwas ein loch in die wirklichkeit gerissen, aus der sie herausfließt, ins bodenlose.

 

2 marja

als wir ins tränengas gerieten und zu rennen anfingen, nahm sie meine hand, daß wir uns nicht verlören, und um die wenigen blicke, die noch möglich waren, gemeinsam zu nutzen. – und ich war narr genug, zu hoffen, sie habe auch noch einen anderen grund dafür, meine hand zu suchen!

die wirren rissen uns auseinander und wir gerieten in verschiedene ströme. ich verlor sie aus dem blick. – wie erleichternd, als ich abends zurückkehrte, daß sie zu hause war! – einer der staatsschergen hatte ihr auf den kopf geschlagen. ihr war übel und sie fürchtete eine gehirnerschütterung. – ich war stolz, daß nur ich mich um sie kümmern durfte und keiner der anderen männer. – einer ist allerdings nicht da. und als ich am nächsten abend vom besetzerrat zurückkomme sehe ich marja und ihn necken und schmusen. – ich war vor der demo drei wochen verreist gewesen und hatte nicht mitbekommen, was sich da angebahnt hatte.

ich tue so, als sei es mir längst bekannt und als lasse es mich völlig kalt. ich überprüfe sorgsam an den reaktionen der anderen, ob das bittre mein gesicht verdächtig verzieht, keiner soll wissen, welche illusion ich mir gemacht habe, keiner soll etwas in der hand haben gegen mich.

am liebsten möchte ich wieder in eine straßenschlacht verwickelt sein oder gefährliche sabotageakte ausüben.

 

3 regina

es begann schon zu dämmern, als eine hübsche frau mit intelligentem gesicht zu fuß den rastplatz betrat. sie war bieder gekleidet, wie eine bankangestellte. ich traute meinen augen nicht, denn sie kam – sichtlich erfreut – direkt auf mich zu. sie war angetrunkten.

eh´ ich mich versah, fiel sie mir um den hals. ich kam mir vor wie im märchen, denn eine umarmung war mir damals, als ich noch nie eine frau berührt hatte, eine solche wonne, wie es den erfahrenen selbst der liebesakt oft nicht ist. – meiner verwunderung erwiderte sie, sie habe mich mit jemandem verwechselt. das war ihr aber gar nicht peinlich: wir herzten und drückten einander wie lang vertraute, und hatten im nu die flasche wein geleert, die ich dabei hatte. allerdings beschlich mich ab und zu ein etwas schlechtes gewissen, ihren zustand auszunutzen, und ob ich nicht erwartungen in ihr wecken würde, durch die sie einen anspruch auf mich gewönne, dem ich mich nur um den preis würde entziehen können, mich als schuft zu fühlen. – aber im vordergrund keimte die hoffnung, endlich aus meiner körperlichen einsamkeit erlöst zu werden.

sie erzählte, ihr freund sei krank, und sie müsse in hamburg seinen arzt um rat fragen. – ich wurde nicht recht klug aus ihren worten, ich verstand nur, daß sie bereits einen freund hatte. das versetzte meiner hoffnung einen schweren schlag: das schiff, das auf meiner einsamen insel gestrandet war, würde nur wasser und verpflegung an bord nehmen, und mich zurücklassen in meiner einsamkeit. – immerhin bot sie mir an, bei ihr in hamburg zu übernachten, ihre mutter wohne dort.

wir zogen auf der raststätte herum und neckten die rastsuchenden autofahrer, indem wir sie anbettelten. so wurden wir mit zwei feinen geschäftsreisenden um die 40 bekannt. sie luden uns zu einem kaffee ein. der eine, der etwas spitzbübisch aussah, und dem es offensichtlich nur um regina zu tun war, versuchte uns etwas von 68 zu erzählen, aber es wirkte unglaubhaft. vermutlich löste unser auftritt in ihm romantische vagabundenfantasien aus. seinem kollegen, der brav und etwas dümmlich aussah, war unsere gesellschaft sichtlich peinlich.

ich verließ die drei, um mir am kiosk schnaps zu holen. ich wollte noch trunkener werden, mich noch weiter von der verantwortung für die gegenwart befreien, ich wollte von mir selbst urlaub machen, taumeln. – als ich – an den tisch zurückgekehrt – den schnaps in den kaffee schütte, wird die verkniffene empörung im mienenspiel der anderen gäste so unübersehbar, daß die kassenfrau fürchten mußte, es werfe ein schlechtes licht auf ihre art, den betrieb zu führen, wenn sie weiter schweige. sie kontrapunktierte das verkniffene schweigen mit einem verkniffenen reden, indem sie mich ärgerlich anfuhr, mitgebrachte speisen zu verzehren sei hier verboten.

erst spät in der nacht wurden wir mitgenommen von rockmusikern. regina fing während der fahrt an, den fahrer zu liebkosen. er ließ es sich gefallen, obwohl ihm dabei sichtlich komisch zumute war. meine zärtlichkeiten wies sie nun barsch zurück. – als ich sie nach dem aussteigen fragte, erklärte sie mir, sie könne ja schließlich nicht jeden liebhaben. das stach mir ins herz.

ziemlich ernüchtert tappte ich hinter ihr her zur u-bahn. mir war kalt. – nackt und grau schlangen sich die asphaltbänder im fahlen neonlicht ineinander, dazwischen terrassen von betonkübeln, in denen ordentlich zurechtgestutzte bäumchen staken – doch schien sich das junge leben von dieser zweckwüste abzustoßen wie wassertropfen von einem ölfilm.

die wohnung, in der reginas geschiedene mutter mit der 11-jährigen schwester lebte, lag in einer öden einförmigen vorstadtsiedlung. als wir eintreten, fällt mein blick auf die von unruhigen träumen zerwühlte bettstatt, von der sich ihre mutter erhoben hat, um über den unvermuteten schlafgast aufgeklärt zu werden. sie ist nicht begeistert, aber scheint an überraschungen gewöhnt. ich rolle meinen schlafsack aus, schräg zwischen tisch und sofa. das kleine wohnzimmer ist musterhaft gepflegt und eingerichtet, mit jener beflissenen enthaltung von aller originalität, die das, was man „vorzeigbarkeit“ nennt, gewährleistet: den distanzierten anstand biederer bürgerstuben.

der nächste morgen weckt mich mit billiger radiomusik und der hohlen guten laune der ansagerstimmen. regina umarmt mich. der frühstückstisch ist üppig. – ich frage nach dem schicksal der entglasten wohnzimmertür. die mutter erzählt, das bügeleisen sei hineingefolgen, als sie regina vergeblich daran zu hindern versucht habe, in irgendeiner sache, in die sie hineingeraten war, auf eigene faust, ohne polizei, etwas zu unternehmen.

als wir auf dem morgenfrischen balkon rauchend über die verregnete vorstadt hinwegschauen, spüre ich, wie schwer mir der abschied fällt von ihnen, die auch das chaos kennen, und mich, den fremden, solidarisch aufgenommen haben.

regina nimmt mich mit zur u-bahn. sie wird allmählich immer reservierter gegen mich und läßt mich merken – vermutlich aus angst, der fremde könnte anhänglich werden – daß sie mich loswerden will. ungeduldig, aber gewissenhaft, wie aus pflicht, erklärt sie mir, wo ich hin muß, wenn ich weiter zum meer trampen will. in der bahn vertieft sie sich in ihre papiere und wechselt kein wort mehr mit mir. als sie aussteigt, scheint sie mich schon fast vergessen zu haben. – obwohl ich mit dem gleichen zug weiterfahren muß, folge ich ihr, sage ihr zwischen zwei waggons, daß ich herzlich für sie empfinde. sie schaut verwundert auf, überrascht, daß die unverbindlichkeit eines endes noch etwas herzliches hervorbringt. ich beeile mich in die nächste tür zu springen, schon fährt der zug.

meine erneute einsamkeit ist mir, als träte ich aus dem schutz eines waldes: mit dem wind und dem regen spüre ich die freiheit der weite.

 

4 was dem chronist der ereignisse um dornröschen entging

erinnern wir uns: verwunschen schläft die bekannte prinzessin im abgelegenen turm eines weitläufigen schlosses. dornen haben es meterdick überwuchert. viele freier haben versucht, die dornen zu durchdringen, aber, alle mehr oder weniger auf einen billigen fick aus, wurde es ihnen schnell zu sauer, preiswertere angebote warben sie ab.

endlich kommt unser held. – wir wissen nicht, was ihn dazu treibt, sich zentimeter um zentimeter tiefer in die dornen zu kämpfen. vielleicht dauert ihn der prinzessin schicksal, vielleicht ist er auch nur ein hoffnungslos weltfremder träumer; vielleicht sind die frauen seiner zeit so geistlos, daß die menschheit aussterben würde, wären ihre hintern so ungebildet wie ihre gesichter; vielleicht ist er auch bloß so schüchtern, daß es ihm einfacher erscheint, ein meer von dornen zu durchqueren, als eine frau anzusprechen – jedenfalls: die geschichte erzählt nur von den mühen, die der prinz zu bewältigen hatte.

doch dornröschen schlief nicht nur: sie träumte, träumte jedesmal ähnlichen traum, sobald ein freier sich nähert: sie steht auf ihrem söller, der frostwind der einsamkeit schneidet ihr ins gesicht. aber sie duldet es. die ungeduld, die die hoffnung ihr macht, ist größer, treibt sie immer wieder hoch auf die zinne, ausschau zu halten. nähert ein held sich, hüpft ihr das herz vor freude. doch kaum berührt er die erste dorne, verwandelt sich ihr der prinz in ein ekelhaftes etwas: eine art reptil, ausgehungert, jeden knochen kann sie zählen, die schuppen bedeckt von widerlichen warzen, in denen gewürm haust, und eitrigen geschwüren, die aufplatzen. nur mit mühe schleppt es sich voran, sein steifes mannesglied, fast so groß wie es selbst, hindert jede bewegung. es achtet die dornen nicht, sein stinkender brodem macht sie schlabbrig, und schmerzlos watscheln seine kralligen füße darüber hinweg, noch mit dem giftig-fauligen schlamm seines sumpflochs bedeckt. seine triefenden, hervorquellenden augen stieren mit einer geilen blödheit, die an den gestank ungepflegter pissoirs erinnert. – wie oft hat sie die dornen verwunschen, an deren anblick so manchen freiers mut gebrach! wie bangt ihr jetzt, wo sie zu matsch werden! schnell stellt sie sich tot – und je länger sie den atem verhält, umso härter werden die dornen und das tier verliert seine lust.

doch nach und nach verfliegt die wärme aus der zeit vor dem schlaf der familie, die dornröschen so lange befähigte, den eisigen wind ihrer einsamkeit auszuhalten. die einsamkeit fängt an, weher und weher ins herz zu schneiden, so daß ihr schließlich der anblick des tieres ins zwielicht gerät: sein atem stinkt, aber er ist auch warm. – sie ertappt sich bei fantasien, sich das tier zu einem artigen gespielen zu zähmen (vor sein glied kann sie ja ein hübsches sauberes tuch hängen, und im geiste erwägt sie schon welches). – doch ihre angst verwirft diese fantasie.

wenn dornröschen nicht den mut aufbringt, die ahnung, daß sich das tier an ihr verwandelt, durchzuhalten, durch zwiespalt und unsicherheit – dann freut sich die böse fee.

 

5 natascha (wie mann dornröschen nicht wach kriegt)

als ich heute einer frau in der s-bahn sagte, daß ich gerne mit ihr einen kaffee trinken gehen würde, kam ich mir wieder so schmierig vor mit meinem souveränen gehabe. wieder schien es nur die alternative zu geben zwischen verkniffenem unterlassen und einer merkwürdigen entfremdung, die einen leicht widerlichen geschmack hinterließ. ähnliches widerfuhr mir vor einigen tagen mit natascha:

beim abendessen fragte sie, ob ich massieren könne, das erste training nach wochen habe ihre beine schmerzhaft angespannt. – die beine massieren! war das nun eine erotische aufforderung oder sollte das wirklich nur bedeuten, ihr diesen gefallen zu tun?

ich verneinte redlich, doch schon im gleichen augenblick tat es mir leid, denn genau darauf hatte ich ja schon einige tage gehofft, daß sich eine gelegenheit zu unverfänglichem körperkontakt ergeben würde, der die möglichkeit innewohne, erotisch ausblühen zu können. doch dafür so zu tun, als ob ich beine massieren könne, wäre mir charakterlos vorgekommen – obwohl sie vielleicht genau das im sinn hatte: daß ich mit einer solchen kleinen unaufrichtigkeit das spiel mit unentscheidbarkeiten, hinter denen jeder in deckung bleiben kann, mitmachte.

in der hoffnung, daß sie sich auch auf anderes einlassen könne, sagte ich ihr wahrheitsgemäß, daß ich mich allerdings gut darauf verstehe, rücken zu massieren, sie reagierte darauf jedoch nicht. mir wurde schmerzlich bewußt, daß sie meine verneinung ihrer frage auch als zurückweisung verstanden haben könnte, weil es ihr vielleicht gar nicht darum zu tun gewesen war, herauszufinden, ob ich sie gekonnt berühren könne, sondern nur, ob ich sie überhaupt berühren wolle.

wir aßen zusammen zu abend und plauderten. die plauderei überdauerte unser mahl und hatte schließlich die grenze zur immer peinlicher werdenden ersatzhandlung überschritten. natürlich würde diese grenzüberschreitung auf mich zurückfallen, da es traditionellerweise den männern zukommt, eine erotikschwangere situation durch initiative zu vereindeutigen. weil ich ihr so gerne nah sein wollte, wagte ich schließlich meine deckung zu gefährden, indem ich ihr anbot, daß ich – wenn sie wolle – ja mal ausprobieren könne, ob meine massagekünste auch müden beinen einen vorteil verschaffen könnten. – schaute aus diesem entgegenkommen, nachdem sie auf mein erstes anerbieten, ihr den rücken zu massieren nicht zurückkam, nicht allzu plump mein wunsch heraus, sie zu berühren? ich riskierte es, obwohl ich fürchtete damit tolpatschig und aufdringlich zu wirken und mir die chance zu verpatzen, von der süße ihrer nähe kosten zu können. – zu meiner erleichterung zeigte sie sich jedoch nicht im geringsten abgeneigt.

ich massierte ihre füße und waden, und war schon ratlos, als ich ans ende kam, weil ich noch nicht aufhören wollte, es aber zu aufdringlich fand, ungefragt in den bereich jenseits der knie einzudringen. da sagte sie plötzlich, sie habe durch das training auch starke rückenschmerzen, weil sie es nicht mehr gewohnt sei. – das ließ ich mir nicht zweimal sagen, und begann mit japanischen druckmassage, einer massageart, bei der meine handflächen über den rücken gleiten. zwar konnten sich meine hände gar nicht flächig genug spreizen, doch achtete ich sorgsam darauf, nur soviel über die für die massage notwendigen berührungen hinauszugehen, wie es die grauzone zur offensichtlichen liebkosung nicht überschritt.

die situation spitzte sich zu, als natascha nach beendigung der massage ausdrücklich darauf bestand, daß ich nun noch ihre oberschenkel massiere. ich tat wie mir geheißen, doch vermied ich, meine hände weiter als bis kurz über die mitte ihrer oberschenkel zu führen, aus sorge, übergriffig zu werden und damit als jemand dazustehen, der für gleichermaßen anmaßend, täppisch und schäbbig gehalten werden könnte, weil er hilfsbereitschaft nur vortäusche, um sich einen vorteil zu erschleichen. ich gefiel mir jedoch auch darin, ihr sowohl wie mir selbst zu zeigen, daß ich meine impulse im griff habe und distanz zu wahren verstehe. – andererseits war mir klar, daß ich es nicht bei dieser distanz belassen wollte, nur wußte ich nicht recht, auf was ich wartete, wodurch sich eine zum verlassen der distanz geeignete situation auszuzeichnen hätte.

natascha machte es mir schwer, als sie sich nach beendigung der massage in ihre decke einwickelte und einschlummern zu wollen schien. – ich ärgerte mich nun, daß ich nicht die rückenmassage genutzt hatte, um einen fließenden übergang zur reinen liebkosung zu finden. – ich wollte mich noch nicht entfernen. es wäre gewesen, wie ein warmes gemütliches zimmer zu verlassen, in die kälte eines wintertages. so entstand eine pause, die immer peinlicher wurde.

um die peinlichkeit zu überspielen und zeit zu gewinnen, aber auch um ihr initiative in die hand zu geben, stellte ich die eingetretene situation als gemeinsames problem dar: weil sie mir oft bedeutet hatte, wie angenehm ihr die massage sei, durfte ich so tun, als ob ich davon auszugehen müßte, daß sie es schade fände, wenn diese unverbindliche annehmlichkeit nun ihr definitives ende gefunden hätte. ich sagte daher mit einer aufgesetzen coolheit: „tja, jetzt fällt mir nichts mehr ein“. mir war freilich vor mir selbst nicht ganz wohl damit, so unbeholfen zu sein, aber vor allem: mich so verlogen zu verstellen.

das ist einer der punkte, aus denen diese schmierige onkelhaftigkeit entspringt. warum fiel mir nicht ein, einfach zu sagen, was in mir vorging? es war die angst, eine chance zu verspielen, die mich gefangen hielt, die angst von menschen, die sich nicht trauen, sich genügend chancen zu verschaffen, und deshalb mit den wenigen, die sich von selbst ergeben, geizen müssen.

die initiative, die ich mir von ihr erhofft hatte, kam nicht. doch erlaubte mir der kleine zeitgewinn, in ruhe einen entschluß zu fassen. ich tat so, als fiele mir doch noch etwas ein, etwas, das ich freilich schon während der massage mehrmals erwogen hatte: ich setzte mich nach ihrer zustimmung an ihr kopfende und massierte ihren nacken. als ich auch damit ans ende gekommen war, und mir nun wirklich nichts mehr einfiel, riskierte ich es, nicht aufzuhören, ihr über kopf und haar zu streichen – eine Handbewegung, die sich unverfänglich aus der nackenmassage ergeben hatte. ich erwartete ihre befremdung, aber sie schien es genauso zu genießen wie alles vorherige. so wurde ich mutiger und streichelte ihre arme – und auch darauf zeigte sie keine ablehnende reaktion.

ich kam nun etwas unter druck, weil mir zunehmend schien, als verlange mein verändertes verhalten eine erklärung – nämlich daß ich sie möge. und so stark die spannung auch war, die sich vor dieser vereindeutigung aufbaute: es war süß, die worte über die lippen zu bringen.

natürlich erhoffte ich mir von der vereindeutigung, daß natascha irgendetwas tun oder sagen würde, was mir anzeigte, daß sie meine zuneigung erwidere, und was schließlich dazu führen würde, daß wir richtig zu schmusen begännen. – doch nichts dergleichen geschah. sie lag unverändert am boden, schweigend, völlig passiv, und ließ sich meine liebkosungen gefallen. – aber da sie mein bekenntnis auch nicht ablehnend kommentierte, fühlte ich mich berechtigt, mir mehr herauszunehmen: von ihren schultern streichelte ich mich über ihr brustbein zwischen ihren brüsten hindurch zur taille und von da ihre seiten entlang wieder hinauf bis zu den achseln.

nach einer weile, kurz bevor meine hände ihre stillung auf ihrer brust gesucht hätten, sagte sie plötzlich, jetzt wär es besser, schnell aufzuhören, bevor es zuviel würde, erhob sich zügig und fing an, belanglos herumzulabern. sie hielt das gespräch dabei von allem fern, was dazu geeignet gewesen wäre, noch einmal auf das einzugehen, was wir gerade zusammen erlebt hatten, so daß ich die äußerung meines wunsches, sie zum abschluß umarmen zu wollen, nur deplazieren konnte. ich wagte es dennoch. – nein, erwiderte sie, das wolle sie lieber nicht. – auf meine nachfrage erwähnte sie ängstlichkeit, meinte, es ginge ihr zu schnell und signalisierte, daß sie nicht bereit sei, weiter darüber zu reden. – aber tags darauf und seitdem verbringt sie die nächte mit horst.

ich kam mir lächerlich vor in der feigheit meiner vorsicht und der gelähmtheit meiner aufrichtigkeit. meine zurückhaltung aus angst täppisch zu sein, war selbst täppisch.

 

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