Inhalt:
Der Faust-Film (Lesezeit 2 Minuten)
Das Faust-Hörspiel (Lesezeit 2 Minuten)
(1) Faust-Film (Faust 1)
- Will Quadflieg „hastet“ durch den Text, der Text scheint nur Staffage zu sein für eine grimmige Faustgrimasse. Tempo und Dynamik sind monoton und vorhersagbar, es gibt nur minimale Modulationen in Stimme, Mimik und Geste. Die wirken dann aber auch um so „erquickender“. Doch im Ganzen wird der Text nicht ausgespielt. Es entsteht ein holzschnittartiger Eindruck.
- Diese „Inszenierungsphilosophie“ betrifft hauptsächlich alle Szenen, in denen Faust alleine oder mit Mephisto auftritt. Die „Hast“ kommt zwar auch in den anderen Szenen immer wieder durch, aber vor allem die Schülerszene oder auch viele Szenen der Margaretentragödie sind „ausgespielter“. – Die „Gelehrtentragödie“ wirkt dadurch viel flüchtiger und fragmentarischer als die Geschichte von Margarete, sie bekommt fast so etwas episodisches wie die Tanz-, die Schüler-, die Kneipen- und die Hexenszene. – Hinzu kommt, daß die Streichfassung zum Verständnis des Textes wichtige Passagen dem Tempo opfert, so daß schon allein inhaltlich eine Verzeichnung entsteht.
- Das ganze Ausmaß der Ambivalenz Fausts kommt durch so ein Verfahren nicht zur Anschauung. Je weniger Anschauung eine Inszenierung bietet, je schemenhafter, je erlebnisärmer sie ist, desto weniger trägt eine Inszenierung auch zum Verständnis des Textes bei. Die Zuschauer müssen dann die Schemen mit ihrem mitgebrachten Wissen selber ausfüllen, sie erleben nichts dazu, es wird ihnen nichts geboten, was sie nicht schon kennen (hier: einen grimmigen Faust in seinem faustischen Grimm). Die Figuren werden so auf eine Wiedererkennungs- und Erinnerungsfunktion reduziert.
(2) Faust 1+2 als Hörspiel
- Der „Hörspielfaust“ ist im Eingangsmonolog noch deutlich erlebnisärmer: Man stellt sich einen onkelhaften, dickbäuchigen älteren Herrn vor, der behaglich im Ohrensessel sitzt und seinen Enkeln erzählt, daß er auch mal Philosophie studiert hat und daß es das überhaupt nicht gebracht hat.
- Viele andere Szenen sind aber lohnenswert, vor allem die Chironszene. Auch der Helenaakt ist gewinnend. Allerdings hört sich die Helena etwas hausbacken an und der Faust salbungsvoll (doch das nannte man damals wohl „theatralisch“). Die Chöre im Helenaakt sind akustisch gut verstehbar (im Gegensatz zu den Chören der Steininszenierung). Allerdings ist die Hörspielfassung teilweise entstellend und wenig sinnreich gestrichen. (Das gälte es im Einzelnen zu begründen.)
- Meist da, wo Faust und Mephisto nicht dabei sind, ist die Inszenierung interessanter. Der Beginn des 4. Aktes: Monolog und Dialog bis zum Auftritt des Kaisers wirkt einförmig. Will Quadflieg muß hier wieder die grimmige Faustgrimmasse aufsetzen, nachdem er im einleitenden Monolog sehr salbungsvoll rezitieren musste. (Bsp: Vers 10231: „Und, weit hinein sie in sich selbst zu drängen“: wie Quadflieg hier spricht, erinnert mich an die Art, wie man Kindern vorliest: dick aufgetragen, man will ihnen ja schließlich vormachen, was „faustischer Drang“ bedeutet.) – Es wirkt auf mich etwas marionettenhaft: es hat etwas von der Steifheit, Ungelenkheit und Stilisiertheit des Puppenspiels. (Und in der Tat: spätestens bei der Baucis glaubt man sich in die Augsburger Puppenkiste versetzt.) Das scheint Absicht zu sein. Es ist mir rätselhaft, was die daran gut fanden. Ich finde es nur verarmt. (So verarmt wie die Streichfassung.)
- Hinzu kommt, daß – übrigens auch bei Stein – manchmal zuviel Wert darauf gelegt scheint, die Reime zu betonen (s.u. Reime). Offenbar ist das eine besondere Sprechtradition. Doch auf mich wirkt es bestenfalls verbogen, manchmal aber nah am Rande dilletantischen Leierns. (Bsp: Verse 10379f: wie der Kaiser „empörten“ auf „verheerten“ reimt.) Ich weiß wirklich nicht, wer sich ausgedacht hat, daß das sinnvoll oder schön sein soll. Haben die nie ausprobiert, was passiert, wenn man die Verse ganz normal spricht? Der Reim spricht doch für sich!