Faust II 2. Akt

(Lesezeit: 5 Minuten)

1

Mephisto ist hilflos: Faust träumt in griechisch, der Teufel kann kein Griechisch! Mephisto geht deshalb zu Fausts ehemaligem Meisterschüler, der jetzt als Topwissenschaftler gilt. Der ist gerade dabei, eine künstliche Intelligenz zu erschaffen, die alles weiß und Gedanken lesen kann. Von ihr erhofft Mephisto sich, daß sie Fausts Träume entschlüsselt.

Doch bevor Mephisto das Labor betritt, erscheint der Student, den Mephisto einst beraten hat, macht sich wütend über Mephisto lustig und kanzelt ihn ab: Er fühlt sich von der alten Generation belogen, hält sie für illusioniert, glaubt, daß nur die junge Generation den Durchblick hat und daß man ab 30 langsam schwachsinnig wird. Mephisto steht da wie ein begossener Pudel.

Im Labor erklärt Wagner ihm, daß es veraltet ist, intelligente Wesen mittels Sex herzustellen, sondern daß denkende Wesen auch von Denkern designed werden sollten. – Wagner glaubt sich nach vielen Fehlschlägen kurz vor der erfolgreichen Erschaffung einer künstlichen, nur im Reagenzglas lebensfähigen Intelligenz. Offenbar muß Mephisto aber ein bisschen nachhelfen, bevor es aus dem Glas zu sprechen beginnt.

Homunkulus, die künstliche Intelligenz, kann mit ihrem leuchtenden Glas umherschweben und ist voller Tatendrang. Das nützt Mephisto gleich aus, und zeigt ihm Faust. Homunkulus sieht, daß Faust gerade von der Zeugung Helenas träumt: wie Zeus als Schwan sich an einem idyllischen See mit Leda liebt. Homunkulus fürchtet, wenn Faust in einem Labor aus einer so erotischen Idylle erwacht, daß er vor Schock stirbt. Deshalb schlägt er vor, Faust auf die griechische Walpurgisnacht zu schleppen. Mephisto sträubt sich, er ist ausländerfeindlich. Doch Homunkulus besticht ihn mit der Aussicht auf Sextourismus. – Schnitt.

2

Die griechische Walpurgisnacht entstand aus dem Herumgespuke der Gefallenen einer der grausamsten Schlachten der Antike: der Schlacht zwischen Caesar und Pompeius um die Herrschaft im Römischen Reich. Als Mephisto auf seinem Zaubermantel mit dem komatösen Faust heranschwebt und Homunkulus vornweg als Scheinwerfer, verscheuchen sie eine Hexe, die angeödet ist von der ewigen Wiederkehr des Gleichen: daß die Menschen sich immer wieder gegenseitig die Schädel einschlagen und daraus offenbar nichts lernen.

Faust wird auf den Boden gelegt und erwacht. Er fragt gleich nach Helena ohne noch zu wissen, wo er sich überhaupt befindet. Er sieht die Sphinxe und ist sofort begeistert. Die Sphinxe fühlen sich allerdings nicht zuständig für seine Suche nach Helena und verweisen ihn an den weisen Zentauren Chiron, der hier irgendwo herumtraben soll. – Faust geht ihn suchen.

Homunkulus ist ebenfalls aufgebrochen, er will aus seinem Reagenzglas raus und schaut sich nach einer Stelle um, wo er sein Glas zerbrechen mag.

Mephisto bleibt allein zurück. Er ist genervt von der Fremdartigkeit. Vor allem langweilt ihn, daß hier alle nackt herumlaufen: „Das Auge fordert seinen Zoll, was hab ich an den nackten Heiden? Ich liebe mir was auszukleiden, wenn ich doch einmal lieben soll!“ Da entdeckt er die Lamien, Gespenster, die in Nuttengestalt junge Männer anlocken, um sie auszusaugen. Mephisto ist begeistert und läuft ihnen hinterher. – Schnitt.

3

Faust hat derweil den Ort seines Traums entdeckt: ein idyllischer kleiner Waldsee, in dem nackte junge Frauen herumplantschen. Er überlegt kurz, sich dazu zu gesellen, „doch immer weiter drängt mein Sinn“: Er will tiefer in die Büsche, weil er dort die Königin vermutet. Doch da kommt Chiron vorbei. Über Smaltalk nähert sich Faust seinem Anliegen: Helena zu treffen. Der heilkundige Chiron hält ihn für verrückt, und bringt ihn zu einer Heilerin: der Seherin Manto. Die findet Verrückte gut („den lieb ich der Unmögliches begehrt“) und begleitet ihn in den Hades. – Schnitt.

4

Mephisto wird nach Strich und Faden von den Lamien verarscht und schließlich alleingelassen. Er ist hilflos und außerdem genervt von den ständigen Erdbeben. Da trifft er Homunkulus, der auch hilflos ist. Homunkulus schließt sich zwei Philosophengespenstern an und Mephisto wird von einem Berggeist zum Besuch eines alten Gebirges eingeladen. – Schnitt.

5

Homunkulus weiß alles, fühlt aber nichts. D.h.: er kann die Bedeutung des Gewußten nicht ermessen. Er weiß, daß ein erotischer Traum und ein reales Labor solche Gegensätze sind, daß es einen Schock bedeuten kann, von dem einen ins andere versetzt zu werden. Er weiß es genauso wie ein Kind vor der Pubertät es wissen würde, aber nicht nachempfinden könnte, weil seine Sexualität noch nicht ausgereift ist und es noch nicht nachvollziehen kann, wie sich sexuelle Attraktion „anfühlt“.

Ein lebendiges Lexikon ist durch ein totes jederzeit ersetzbar, es hat keine Individualität und keine Kreativität. Es macht keinen Unterschied, ob da jetzt ein Homunkulus ist oder ein Buch. Ungefähr so müssen wir uns Homunkulus Leiden an seiner Künstlichkeit vorstellen.

Er will deshalb aus dem Glas raus, um sich zu „verkörperlichen“, um ein Wesen aus Fleisch und Blut zu werden mit den Wünschen und Bedürfnissen von Wesen aus Fleisch und Blut – denn es gibt keinen Geist ohne den Drang der Bedürfnisse, der dem Wissen erst Bedeutung verleiht (wie z.B. zu fühlen, wie bedeutend Liebe ist, statt bloß zu wissen, daß sie sehr bedeutend ist.)

Homunkulus trifft auf die Philosophengespenster Ananxagoras und Thales, die angesichts des Vulkanausbruchs, den Seismos zur Feier der Tages gerade veranstaltet, diskutieren, ob Feuer oder Wasser bedeutender für das Leben ist. Ananxagoras verweist darauf, daß das Gebirge, das durch den Vulkanausbruch gerade entstanden ist, bereits von Zwergen als Lebensraum vereinnahmt wurde. Thales hält dagegen, daß die Entwicklung zu stabilen und verläßlichen Zuständen nicht Kraft sondern Zeit braucht.

Die Zwerge dagegen glauben umgekehrt, daß Schnelligkeit ein Ersatz für Stärke ist, und schlachten eine Reiherkolonie ab, um deren Federn als Schmuck für ihre Kriegshelme zu nutzen. Die Kraniche finden das nicht gut, fallen über die Zwerge her und vernichten sie.

Die drei Wanderer wenden sich von dem Horror ab und brechen auf zur Party: dem „heiteren Meeresfest“. – Schnitt.

6

Derweil hat Mephistopheles die Phorkyaden entdeckt, drei Geistwesen in Gestalt alter Frauen, die sich gemeinsam ein Auge und einen Zahn teilen. Mephisto ist hingerissen von ihrer Häßlichkeit und versteht offenbar gleich, daß es hier eine Entsprechung zu ihm gibt, zur Häßlichkeit des Bösen, eine Entsprechung, die ihm, dem ausgemachten Fiesling, gestattet, Faust in die Welt der Antike, der Heiterkeit und Schönheit zu folgen. Es ist sozusagen die einzige Möglichkeit für Mephisto ein Visum für eine Welt zu bekommen, an deren Grenze er sonst abgewiesen würde.

Mephisto versucht mit den Überredungskünsten eines vollendeten Staubsaugervertreters den alten Damen Auge und Zahn abzuschwatzen, doch die Damen sind wachsam, erteilen ihm aber schließlich eine Art Lizenz zur Kopie ihrer Häßlichkeit. – Schnitt.

7

Auf dem Weg zur Strandparty versucht Thales, vom alten Meergeist Nereus einen Rat zu bekommen bezüglich Homunkulus. Nereus hat aber keinen Bock mehr, Menschen zu raten, er ist zu oft enttäuscht worden. Außerdem steht ihm der Sinn gerade auch nicht danach, weil er voller Vorfreude ist auf seine Töchter, die er lange nicht gesehen hat, und die sich heute alle blicken lassen – sogar seine Prommi-Tochter Galathea, die sonst nie Zeit hat.

Nereus schickt Thales zu seinem Kollegen Protheus. Protheus ist fasziniert von dem leuchtenden Etwas im Reagenzglas. Er versucht, Homunkulus die Menschen, von denen auch Protheus nichts hält, mies zu machen. Statt Menschwerdung kann er Homunkulus dazu überreden, mit ihm ins Meer zu kommen, und auf dem Höhepunkt des Festzuges, wenn Galathea auf ihrem von Delfinen gezogenen Muschelthron daherrauscht, sein Glas an der Muschel zu zerschlagen und sich ins Meer zu ergießen. – Als Homunkulus das tut, entsteht ein  Meeresleuchten, von dem alle hingerissen sind. – Schnitt.

Bei der Lektüre der klassischen Walpurgisnacht gilt es, sich nicht bange machen zu lassen von der griechischen Mythologie. Die Bildungsbürger beharren darauf, daß man ganz viel wissen und nachschlagen muß, um die klassische Walpurgisnacht zu verstehen. Doch wenn wir genauer hinschauen, werden die meisten Figuren vorgestellt oder stellen sich selber vor – wie die Telchinen, die stolz als die ersten Schmiede auftreten: „Wir Ersten, wir warens die Göttergewalt aufgestellt in würdiger Menschengestalt!“ – Protheus macht sich gleich darüber lustig: „Was ists zuletzt mit diesen Stolzen? Die Götterbilder standen groß, zerstörte sie ein Erdestoß, längst sind sie wieder eingeschmolzen! Das Erdetreiben wie’s auch sei, ist immer doch nur Plackerei.“

Was ist daran schwer zu verstehen?

Weiterlesen: Figuren aus der Klassischen Walpurgisnacht:  Nereus – – –  Phorkyas   (eigene Beiträge)

weiterlesen: 3. Akt

Zum Faustpfad (Überblick über alle Artikel zur Interpretation)

weiterlesen: Wikipediaeintrag zu Homunkulus

Wikipedia-Eintrag zu den Phorkiaden

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