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Die Vorgeschichte: Faust hatte Margarete sitzenlassen. Er wollte Partys feiern und dachte nicht mehr an sie, dachte nicht daran, daß sie von ihm schwanger sein könnte, dachte nicht daran, daß sie dann Schimpf und Schande ausgesetzt sein würde und Angst um die Zukunft ihres als „unehelich“ stigmatisierten Kindes haben müßte.
Aus Verzweiflung brachte Margarete ihr Kind nach der Geburt um. Dafür wurde sie zum Tode verurteilt. Faust wollte sie retten, aber sie scheute den Tod weniger, als die Vorstellung, sich vor ihrer Verantwortung zu drücken.
Faust liegt auf einer Wiese im Gebirge und findet keinen Schlaf. Da erscheint der Elfenkönig Ariel und beauftragt seine Elfen, Faust in den Schlaf zu wiegen und ihm die Schuldgefühle wegzumachen: „ob er heilig, ob er böse, jammert sie der Unglücksmann“.
Am andern Morgen erwacht Faust ausgeschlafen, ermutigt und gestärkt, genießt den Sonnenaufgang im grandiosen Gebirgspanorama, fühlt sich erleuchtet und bricht auf zu neuen Taten. – Die Erschütterung über Margaretes Verhängnis und sein Schock über seine Mitschuld ist nivelliert zu einer Nuance in „des Lebens farbigem Abglanz“. – Schnitt. – [Zur Vertiefung: „Urlaubsparadies und Todeszelle – eine der schockierensten Passagen der deutschen Literatur“]
Kaiserlicher Thronsaal, Faust irgendwo in der Menge, Mephisto hat den Hofnarren besoffen gemacht um seine Position einzunehmen. – Der Kaiser ist genervt: er will Karneval feiern, doch seine Minister haben ihm wegen akuter Staatskrise noch eine Sitzung aufs Auge gedrückt. Es steht nicht gut um das Reich. Es herrschen teilweise bürgerkriegsartige Zustände, das Reich schafft es nicht, Recht und Ordnung durchzusetzen und ist pleite.
Mephisto hält das alles für kein gravierendes Problem, er verweist auf die Möglichkeit von Bodenschätzen. Der Erzbischof warnt den Kaiser vor den goldgewirkten Schlingen des Satans doch die Funktionäre weisen auf den Teufel und kanzeln den Bischof mit den Worten ab „Schafft er uns bloß zu Hof willkommene Gaben, wir wollten gern ein wenig Unrecht haben.“ – Der Kaiser ist beruhigt und gibt den Startschuß für die Karnevalsfete:
Mit künstlichen Blumen phantastisch geschmückte junge Frauen und Männer flirten den Zuschauern etwas vor. Plötzlich poltern Holzfäller herein und machen darauf aufmerksam, daß es allen bloß so gut geht, weil sie, die Holzfäller, schuften. Die Pulcinelle machen sich über die Holzfäller lustig: „Ihr seid die Toren, gebückt geboren, wir sind die Klugen, die nie was trugen!“ – [Zur Vertiefung: Die Mummenschanz, Beginn]
Die drei Grazien treten auf und loben die Dankbarkeit. – Die drei Schicksalsgöttinnen treten auf, die Jüngste zeigt die Schere vor, die sie der Alten weggenommen hat, damit sie für die Dauer des Festes keine Lebensfäden durchschneiden kann. – Die Furien treten auf und verraten ihre Intrigenkünste, mit denen sie Gift und Dolch unter die Menschen bringen. – Die Siegesgöttin tritt auf und schleppt angekettet die zwei größten Menschenfeinde mit sich: Furcht und Hoffnung.
Dann schweben Zauberpferde herein mit dem Wagen von Plutus, dem Gott des Reichtums. Wagenlenker ist sein Werbetexter, den Plutus als Poet ausgibt – offenbar handelt es sich tatsächlich um einen Poeten, der aus Frust Werbetexter geworden ist, weil alle zu doof sind, ihn zu verstehen und er seinen geistigen Reichtum bloß verschwendet. – Hinten auf dem Wagen hockt Mephisto und spielt den Geiz. Mit Schmähreden über die Verschwendungssucht der Frauen bringt er die Frauen gegen sich auf. Die drachenartigen Pferde verhindern durch ihr Fauchen, daß die Frauen den Geiz verprügeln. – [Geld, Geist, Geiz und Gewalt – die Plutus-Episode]
Da bricht das Wilde Heer über sie herein: der als Gott Pan verkleidete Kaiser mit seinem Gefolge. Er hat es auf den Goldkessel abgesehen, ist zu gierig, und wird vom glühenden Gold versengt. Es kommt zum Brand, den alle für echt halten, bis Faust – im Gewande des Plutus – mit seinem Zauberstab Recht und Ordnung wieder herstellt. – Schnitt.
Als alle ihren Rausch ausgeschlafen haben, eilen hohe Staatbeamte in freudiger Erregung herbei und zeigen Papierscheine vor, die vom Volk als Geld akzeptiert werden. Auf den Scheinen steht, daß sie der Gegenwert für die schlummernden Bodenschätze des Reiches seien. Der Kaiser ist entsetzt, doch als er sieht, daß alle nach dem neuen Reichtum gieren, gibt er nach und läßt das neue Geld gelten.
Gleich hat er einen neuen Auftrag für die Zauberer: Sie sollen für die nächste Party eine lebensechte Darstellung des schönsten Mannes und der schönsten Frau auf die Bühne zaubern: Paris und Helena.
Faust ist ratlos. Mephisto schickt ihn zu den „Müttern“, mysteriösen Gottheiten, die offenbar ein Archiv verwalten, in dem alles aufgehoben ist, was sich je realisiert hat, modern gesprochen: soetwas wie das implizite Gedächtnis der Menschheit. (Das „implizite“ oder „prozedurale“ Gedächtnis ist das nicht bewußtseinsfähige Gedächtnis, das sein Wissen erst im Tun preisgibt – so z.B. beim Auswendigspielen auf dem Klavier, wo man keine Ahnung hat, wie es weitergeht, und erlebt, wie die Finger anscheinend wissen, was als nächstes zu tun ist.) – Mephisto warnt Faust vor Gefahren der Öde, Orientierungslosigkeit und Einsamkeit, die mit dem Gang zu den Müttern verbunden seien. Näheres erfahren darüber jedoch wir nicht.
Als Paris auftritt, mäkeln die Männer an ihm herum, als Helena auftritt lästern die Frauen. Faust, der Helena hier offenbar zum ersten Mal sieht, ist so hingerissen, daß Mephisto ihn zurechtweisen muß, nicht aus der Rolle zu fallen. Paris schnappt sich drehbuchgemäß die Helena, Faust wird eifersüchtig und will sie ihm entreißen. Er verkennt die Realitätsebenen: Er springt ins Hologramm, es gibt eine Explosion, er fällt ins Koma. – Schnitt.
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