Es war erwartbar, daß „Offene Fragen“ eines einzelnen Bürgers an Spitzenverantwortliche unbeantwortet bleiben. Es bedeutet keine Geringschätzung der Bürger, zeigt keinen Mangel an Engagement und keine Verlegenheit in der Sache, sondern nur, daß es im Rahmen professionellen Handelns schlichtweg kaum möglich ist, viel Aufmerksamkeit auf den Brief eines einzelnen Bürgers zu verwenden.
Dennoch erhielt ich zwei Reaktionen: vom FDP-Abgeordneten Thomas Hacker und vom ehemaligen ARD-Programmchef Günther Struwe. Pluspunkte für beide! Denn auch wenn sie nicht auf meine Fragen eingingen, spricht es für sie, daß sie auf den Brief eines einzelnen Bürgers geantwortet haben, das ist schon mehr, als erwartbar war.
Es zeigt, daß die Verantwortlichen eine größere Bereitschaft zum Dialog mit den Bürgern haben, als viele Bürger glauben. (Auch die Justiziare von ARD und ZDF antworteten zweimal auf Schreiben von mir.) Wir Bürgern haben einfach noch nicht genug dafür getan, um für einen von uns initiierten und moderierten Dialog mit Verantwortlichen ein Forum zu schaffen, das genügend Öffentlichkeit hat. Und das ist ungünstig, denn:
Gibt es in meinem Text – bei aller Naivität – auch Gedanken, Ideen und Fragen, die brauchbar und wichtig sind? Wenn ja: werden davon welche bereits in der Öffentlichkeit diskutiert? Nein? Dann gelangt von dem, was Bürger Brauchbares und Wichtiges denken, fragen und wissen, vieles nicht in den öffentlichen Diskurs. – Wenn wir Bürger eine Stimme in der Öffentlichkeit hätten, gäbe es mehr Diskussion, mehr Realitätsprüfung, mehr korrektive Impulse, ja vielleicht mehr Innovation, in jedem Fall mehr Demokratie.
Zur Weiterentwicklung der Demokratie werden jetzt Experimente gemacht mit Räten aus ausgelosten Bürgern, die mit Einbezug von Experten Lösungsmöglichkeiten für Probleme erarbeiten und in die öffentliche Diskussion einbringen.
Meine Utopie wäre, daß zusätzlich eine politische Kultur entstünde, in der es „normal“ wäre, systematisch und reflektiert mit anderen über die eigenen Meinungen zu diskutieren, sich grundlegend in Frage zu stellen, kooperativ zu recherchieren und Ideen zu entwickeln, mit dem Ziel, zu einer öffentlichen Stimme zu werden, die so unignorierbar ist, daß das Ausbleiben von Antworten auf ihre Fragen nicht mehr bedeutungslos wäre. Dann hätten wir uninstitutionalisierte Bürgerräte, in denen alle Bürger mitwirken könnten. (Warum uninstitutionalisierte Instanzen der Realitätsprüfung wichtig sind, habe ich ausgeführt im Abschnitt „Unkluge Klugheit“ von „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage“.)
Wie wäre es, das mal mit einem „Bürgermedienrat“ auszuprobieren? – Die Medien bestimmen über unsere Köpfe. Ein Beispiel: Während Händi oder Alkohol am Steuer jährlich hunderte Todesopfer fordern, wird die Terrorgefahr zur Hysterie hochgetrieben, obwohl es kaum Terrortote gibt. „Der 7. Sinn“ wurde wegen der Quote ersatzlos gestrichen, stattdessen wurde in den „Tagesthemen“ behauptet, Deutschland würde „massiv vom IS bedroht“. Die mörderischen Drachen der Heimat läßt der Rundfunk gewähren und beschwört stattdessen märchenhafte Ungeheuer aus Tausend-Und-Einer Nacht.
Die Folge: Um seltene Todesursachen mit fraglicher Effektivität zu bekämpfen werden die Bürgerrechte mit Sicherheitsgesetzen unterminiert, dabei bräuchte nur die Straßenverkehrsordnung geändert zu werden, um Monat für Monat weit mehr Menschenleben zu retten. Die Schildbürger könnten es nicht besser hinkriegen. (Vor Kurzem wurden 7 junge Menschen durch einen alkoholisierten Fahrer getötet. Man stelle sich den Medienrummel vor, wenn sie Opfer eines Terroranschlags geworden wären! Wir Lebenden sind den Toten verpflichtet, aus ihrem Tod für das Leben zu lernen. Doch das Thema „Alkohol am Steuer“ ist in Deutschland nicht gut für Quote und Wählerstimmen…)
Wegen der medialen Dynamik ist der Medienjournalismus nur ein schwaches Korrektiv: Statt regelmäßig wesentliche Fragestellungen in die öffentliche Diskussion zu bringen, werden aufmerksamkeitsträchtige Lappalien ausgeschlachtet: daß es zur brennenden „Notre-Dame“ keinen „Brennpunkt“ gegeben oder daß ein Kinderchor Omas beleidigt habe.
Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk steht vor der größten, wichtigsten und grundlegensten Entwicklungsaufgabe seit seinem Bestehen. Wenn er es nicht schafft, sich zu behaupten gegen google, facebook und Co, die immer mächtiger werden aber über kein demokratisches Korrektiv verfügen, dann Gute Nacht.
Es wäre gut, wenn wir Bürger in so einer entscheidenden Situation einen Weg fänden, den Journalisten und Funktionären zu helfen.
(Diese „Auswertung“ wird am 20.01.20 an die Adressaten meiner „Offenen Fragen“ sowie an Journalisten versendet.)