Steven King, Das Institut, Kritik

King, der Hexenmeister! Ich habe das Buch nicht mehr aus der Hand legen können! Dennoch habe ich was zu meckern. Aber zunächst das Gute:

(1) Die Stärken des Romans

Der Roman zersetzt die Genregrenzen. Das ist kein Horrorroman mehr, sondern Literatur, die in einer nicht mehr unterhaltsamen Art schockiert, unangenehme Literatur: Es ist die Innenaufnahme aus einem Kinder-Kz.

(1.1) Es ist zwar fraglich, ob es sinnvoll ist, die Darstellung menschlicher Not mit Unterhaltung zu verbinden, Leid und Not also in einen banalisierenden Kontext zu stellen und durch den Sog der Spannung zu verdünnen – wie bittre Medizin auf einen Löffel Zucker geträufelt. – Dennoch: Kings Roman kann das Bewußtsein dafür entwickeln, was Unmenschlichkeit tatsächlich bedeutet.

(Zu „unangenehmer“ Literatur vgl. auch: „Splitter“ – Einführung zu einer Kurzgeschichte von D. Seefeld (auf dieser Website).)

(1.2) Inhaltlich ist der Roman eine großangelegte Studie zu einem grundsätzlichen ethischen Problem: Wieviel Leid dürfen wir vorsätzlich anrichten, um größerem Leid vorzubeugen? – Wenn ein Atomkrieg nur verhindert werden kann durch das Quälen von Kindern – darf man das dann?

King spitzt damit die Diskussion zu, die jahrzehntelang über die Opfer geführt wurde, die das „Gleichgewicht des Schreckens“ erforderte: Die Stützung faschistischer Diktaturen überall in der Welt, damit die böse Sowjetunion nicht an Land gewinnt und die arme USA sich schließlich gegen die wachsende Übermacht nur noch durch einen Atomkrieg helfen kann.

Die Stärke von Kings Roman liegt darin, daß er die Frage, ob eine solche Strategie verantwortungsethisch legitimierbar ist, aus der Sicht der Opfer beleuchtet.

Das gibt die Frage auf: Warum führt man überhaupt Krieg, warum ergibt man sich nicht lieber? Was ist denn wirklich das kleinere Übel für den größten Teil der Menschen? (In den Zeiten des Kalten Krieges vertraten die linken Studentenorganisationen das Motto: „Lieber rot als tot“. Ausgerechnet der RCDS, die Studentenorganisation der CDU, drehte das Motto um: „Lieber tot als rot“. – Das sollten die konservativen Studies mal den Kindern in Kings Roman vermitteln!)

(2) Kritik

Phantasien über Zeitreisen, Telepathie, Telekinese und Zauberei erzeugen Handlungsstränge über Probleme, die es nicht gibt, Probleme, die mich nichts angehen, die mich nicht ansprechen. Das hinterläßt ein Gefühl von Hohlheit.

Diese Phantasien werden außerdem schnell willkürlich und beliebig: Wenn jemand zaubern kann, warum kann er dann das eine zaubern, das andere aber nicht? – Warum reist man nicht einfach in die Zeit vor das Zeitreise-Problem und sorgt dafür, daß es gar nicht erst entsteht? – Warum können die einen Gedanken gelesen werden, die andern aber nicht?

Natürlich werden Erklärungen dafür angeführt, warum das eine jetzt geht, das andere aber nicht, warum z.B. im entscheidenden Augenblick die Magie versagt; und warum in einem anderen entscheidenden Augenblick (bei dem Autorin oder Autor keine kreative Lösung für das Problem finden), die Magie plötzlich doch wieder funktioniert. – Doch Probleme und Lösungen werden auf diese Weise beliebig und witzlos. Wir können aus ihnen nichts lernen. Sie sind nur des Zeitvertreibs wegen da. 

King versteht es zwar, in „Das Institut“, überwiegend überzeugende Grenzen für Telekinese und Telepathie einzuführen. Probleme bekommt er allerdings mit den Voraussetzungen: Die ganze Geschichte basiert darauf, daß die Telekräfte gesteigert werden können, und da kann King dann nicht mehr überzeugend vermitteln, warum das eine geht,  das andere aber nicht. – Gut: das fällt im Eifer des Gefechts nicht auf. Wir möchten einfach wissen, wie es weiter geht.

Um die Spannung noch weiter anzuziehen, führt King gegen Ende des Romans neue Hindernisse ein, die schließlich nur noch mit einer weiteren Steigerung der Telekräfte zu überwinden sind, einer Steigerung, die einem Deus ex Machina gleichkommt. – Nach dem Lesen entsteht ein unbefriedigtes Gefühl.

Wir könnten von King erwarten, daß er komplexere und raffiniertere Problemlösungen findet. Oder seine Romane kürzt.

Ich empfehle, den Roman nur bis Seite 631 zu lesen. Der Rest ist Zeitverschwendung.

 

Zusatz:

Bereits im Roman „Die Arena“ ist mir die Überschreitung der Genregrenzen aufgefallen: Der Roman ist nicht unterhaltend sondern beklemmend wie ein Kafkaroman. Ich schätze, kein Werk Kings übertrifft diesen Roman: eine großangelegte Fake-News-Studie – übrigens nicht über die Trump- sondern über die Bush-Ära!

Der Roman „In einer kleinen Stadt“ ist nach meiner Einschätzung dagegen eine optimale Verbindungen von Unterhaltung und künstlerischem Gehalt innerhalb der Grenzen von Unterhaltungsliteratur. Jedenfalls: Ich würde eher „In einer kleinen Stadt“ von King auf eine einsame Insel mitnehmen, als „Unter Leuten“ von Julie Zeh.

Link zu einer weiteren Rezension des Romans „Das Institut“ auf „Phantastik Couch“

Weiterlesen: Über Stephen Kings Kunst (auf dieser Website)