Der Film zeigt Menschen in Extremsituationen. Das ist künstlerisch immer ein Risiko. Viele „Tatorte“ z.B. scheitern künstlerisch schon an weit weniger extremen Situationen.
Möglicherweise hätten Experten für Extremsituationen an dem Film noch was zu meckern. Ich aber war erstaunt, weil ich die Inszenierung als „echt“ erlebte, es gab keinen Moment, der auf mich ausgedacht und gewollt wirkte.
Die Darstellung von Extremsituationen erfordert extreme schauspielerische Leistungen. Ich konnte nicht erkennen, daß die Schauspieler dem nicht gewachsen waren.
Das ist auch das Verdienst des Autors. Denn wenn das Drehbuch Schwächen hat, können die Spieler das nur begrenzt ausbügeln. Die Handlungsweisen der Figuren fand ich überzeugend, Vollrath ist es als Autor und Regisseur gelungen, die seelische Situation seiner Figuren gut zu erfassen.
Der Film zeigt, wie die Gewalt, die wir seit Jahrhunderten sähen, in dem wir die Welt mit unserem Wirtschaftssystem überziehen, auf uns zurückschlägt.
Die Terroristen, die Vollrath zeigt, waren nicht alle Psychopathen. Der Chefterrorist war nahezu väterlich zu dem überforderten jungen Terroristen. Das gab seinem Motiv Glaubwürdigkeit: dem Westen, der in anderen Teilen der Welt über Leichen geht, zu zeigen, wie sich das für die Betroffenen anfühlt.
Diese kurze Sequenz halte ich für die Schlüsselsequenz des Films. Hier stößt der Film eine Diskussion über Terrorismus an. Er zeigt die Einseitigkeit unserer Zuschreibungen, er zeigt, daß – bei allem Recht, was wir haben, uns gegen den Terror zu schützen – auch für das Urteilen über Menschen, die Terror verüben gilt: „Es ist des Richters erste Pflicht, Beschuldigte zu hören“.
Daß das Flugzeug nicht abstürzt, ist einer Wendung zu verdanken, die künstlerisch immer gewagt ist, weil sie leicht unglaubwürdig werden kann: es handelt sich um eine Art „deus ex machina“. – Doch obwohl Vollrath nur ganz wenige kurze Fragmente zur Verfügung hatte, um die Figur zu charakterisieren, die die Wendung herbeiführte, hat er es geschafft, ihre Motivation, glaubhaft zu machen: Seelisch hinreichend gut ausgereifte Menschen sind ihren bösen Absichten nicht gewachsen und scheitern an ihren Stärken. Die Ambivalenz, die den jungen Mann überforderte, war für mich nachvollziehbar, nicht zuletzt wegen der schauspielerischen Leistung von Omid Memar. – (Sicher, Skeptiker könnten bedenkenreich den Kopf wiegen und brummen: „Na, diese Wendung scheint doch ein wenig zu optimistisch“.)
Ich habe nur ein Bedenken: Ob ein Pilot in so einer Situation von der Flugleitstelle wirklich so alleine gelassen wird? Für solche Situationen müßten jederzeit psychologische Experten zur Verfügung stehen. – (Falls das nicht der Fall ist, hätte Vollrath eine Lücke in der Flugsicherung entdeckt…)
Der Film war so spannend, daß mir erst hinterher auffiel, daß er über 90 Minuten lang nur in einem engen Cockpit spielt.
Ich freue mich auf den nächsten Film von Patrick Vollrath.
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Hier geht es zu einer Kritik über einen „Tatort“ mit ähnlicher Ausnahmesituation
Die Bedenken kann ich ausräumen. Der Film hat die ganze Situation sehr realistisch dargestellt. Ich bin ein paar Jahre genau diesen Flugzeugtyp geflogen und habe selten einen Film gesehen, der so nah an der Realität war. Einzig kurz vor der Landung stimmen ein paar Details nicht. Ein paar weitere Dinge wären in der Realität auch anders gelaufen, aber die haben in der Öffentlichkeit nichts verloren, tun jedoch der Relevanz des Filmes absolut keinen Abbruch. Ein durchaus realistisches Szenario, über das man sich als Betroffener sicherlich schon seine Gedanken gemacht hat.