Opa Haralds Erzählung im Jahre 2087
(Lesezeit: 3 Minuten)
„Eigentlich waren sie enttäuschend.
Sie hatten sich sechs Monate vor ihrer Ankunft angekündigt. Sie seien Forschungsreisende, hatten sie gefunkt, Forschungsreisende auf der Suche nach intelligenten Lebensformen im Universum, sie würden sich auf uns freuen und uns in der intergalaktischen Gemeinschaft willkommen heißen. – Bilder hatten sie keine gefunkt, beim ersten Kontakt wollten sie sich leibhaftig vorstellen, nicht schon vorab durch Bilder. – Viele von uns meinten dazu allerdings, sie wollten es bloß spannend machen.
Natürlich war der bevorstehende erste Kontakt mit Außerirdischen monatelang die größte Sensation. – Zwar waren die Militärs skeptisch und wetzten ihre Waffen. Aber außer den Militärs hatte keiner Angst.
Am 22.02.2022 war es soweit: Die Außerirdischen zogen mit zwölf riesigen Raumschiffen festlich in unsere Erdumlaufbahn ein, indem sie rund um die Welt Nordlichter inszenierten – etwas Großartigeres habe ich nie gesehen!
Für den nächsten Tag hatten sie alle Regierungschefs der Welt zu einer feierlichen Begrüßung eingeladen. Leider hatte aber von den Regierungschefs niemand Zeit, denn schließlich handelte es sich bei den Ankömmlingen ja nur um Forschungsreisende, nicht um Regierungsvertreter. Doch alle Regierungen schickten Abgesandte. Wir Deutschen sandten einen Staatssekretär aus dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Die Außerirdischen sahen entfernt wie Spinnen aus. Sie waren seit hundertsechzigtausend Jahren unterwegs. Auf den 12 Schiffen lebten lediglich 444 Individuen, gerade soviel, wie zur Reproduktion notwendig. Einige von uns meinten, das sei ja ziemlich viel Aufwand, soviele riesige Raumschiffe für sowenig Reisende. Aber die meisten von uns fanden es sehr nachvollziehbar, soviel Platz haben zu wollen, wenn man so lange unterwegs war – auf einer tagelangen Bahnfahrt hätten wir ja auch lieber ein Abteil für uns alleine, statt dichtgedrängt im Großraumwagen zu sitzen!
Von ihrer Technologie und Wissenschaft wollten die Außerirdischen nichts mit uns teilen, sie meinten, es gebe auf der Erde noch zuviel Feindschaft und Konkurrenz, die Gefahr sei groß, daß wir mit ihrer Wissenschaft Kriege oder Umweltschäden anrichten würden. – Tja, im Hinblick auf das, was wir bisher mit unserer eigenen Technologie bereits tatsächlich alles angerichtet hatten, konnten wir diese Entscheidung verstehen, auch wenn wir natürlich riesig enttäuscht waren.
Was sie wollten war: In der Erdumlaufbahn bleiben, solange wir es ihnen gestatteten, um mit uns zusammen zu leben und voneinander zu lernen – sie wollten Kulturaustausch.
Wenn sie in ihren Raumanzügen auf die Erde kamen (sie vertrugen unsere Luft nicht) war ihre Begeisterung und Freude über unsere Gebirge und Kathedralen nicht zu übersehen. Auch wir fanden die Bilder, die sie uns von ihrem Heimatplaneten funkten, faszinierend.
Doch mit ihrer Kultur taten wir uns schwer: Ihre Musik war ein Geheule und ihre Bilder fleckig, Und weil sie aufgrund ihrer anderen Biologie völlig andere Lebensprobleme hatten, war ihre Literatur für uns irrelevant.
Einige unserer Spezialisten hielten diese Auffassungen allerdings für Unsinn. Von der Musik erwiesen sie, daß sie komplexer und faszinierender war, als die besten Werke von Bach und Beethoven. Von der Kunst erwiesen sie, daß sie grandiose Bilderlebnisse ermöglichte, wenn man übe, die vieldimensionalen Muster in den Flecken zu erkennen. Und von der Literatur behaupteten sie, sie sei relevant, weil wir unsere eigenen Probleme besser verstehen könnten, wenn wir aus den Problemen verschiedenartiger intelligenter Lebensformen etwas lernen würden über allgemeine Probleme intelligenter Lebensformen überhaupt.
So sagten die Experten. Wir glaubten ihnen auch. Jedoch: Es gab kaum jemanden, der Zeit für die Kunst der Außerirdischen hatte.
Auch ihre Philosophie war für uns unzugänglich, denn sie war nicht zum Lesen sondern zum Üben. Ohne tägliche Meditation war sie nicht nachvollziehbar. Philosophisch hatten die Außerirdischen daher hauptsächlich Austausch mit buddhistischen Mönchen und hinduistischen Yogis – und dieser Austausch war ziemlich konflikthaft, weil die Außerirdischen die Wiedergeburtslehre bestritten und die männliche Dominanz in der virtuosen Meditationskunst langweilig und lächerlich fanden.
Die DJ’s griffen zwar Elemente aus der Musik auf und mixten etwas von dem Geheule rhythmisiert in ihre Musik. Die Außerirdischen fanden das sogar witzig. Sie meinten aber, wenn wir wollten, könnten wir mit ihrer Musik weit mehr anfangen. Was wir bisher damit machten sei wie: unkenntliche Ausschnitte aus einem Rubensgemälde zu vervielfältigen und als Muster für Hosenstoff zu verwenden. – Die DJ’s waren beleidigt und die meisten Leute fanden die Außerirdischen aufgrund dieser und anderer Aussagen beschränkt, arrogant und intolerant.
Geschichte und Gemeinschaftsleben der Außerirdischen hielten wir alle für sehr interessant, wie könnte es anders sein. Allerdings hatte auch hier außer ein paar Spezialisten niemand Zeit und Sinn dafür. Wir hatten ja unser eigenes Leben zu meistern, wir hatten unsere Berufe, unsere Familien und Freunde, unsere Hobbys, unseren Sport und unsere Erholungspraktiken. Außerdem war gerade ein neues, sehr witziges und kreatives Online-Spiel erschienen.
Tja, am 24.02.2042 meinten die Außerirdischen, sie müßten noch woanders hin, und reisten ab. Seitdem haben wir nie wieder etwas von ihnen gehört.“
Zu einem Überblick über alle Geschichten unserer Autoren geht es hier.
Copyright: Die NetzSchriftenInitiative. – Kontakt: siehe Impressum