Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk hat nie systematisch etwas unternommen, um die Kunstfertigkeit zu entwickeln, qualitativ Anspruchsvolles so eingängig und attraktiv zu gestalten, daß die erforderliche Quote auch ohne Vulgarisierung und Nachäffen privater Formate erzielt werden kaann.
Über das, was in Afrika vor sich ging, wurde jahrzehntelang so gut wie nichts berichtet, bis plötzlich die Flüchtlinge vor der Tür standen. – Dann wurde jahrelang nur noch über Flüchtlinge berichtet, bis plötzlich auffiel, daß immer mehr Bürger ihre Miete nicht bezahlen können.
Doch dieses Versäumnis ist eh egal, weil es sowieso keine konfrontativen Interviews gibt, sondern Talkshows, in denen keine Zeit ist, die Äußerungen der Politiker grundlegend zu hinterfragen, so daß es meist nur um deren Selbstdarstellung geht.
Die Aufsichtsgremien sind fragwürdig besetzt und offenbar unzureichend. – Wir Bürger sollten unserem Rundfunk helfen. – Ideen dazu hier: „ Aufruf zur Gründung eines Rundfunkrates der Bürger“. – Weitere Texte:
Nicht zuständig für die eigene Freiheit?
Inhalt: Gibt es Defizite im Engagement des Rundfunks für seine Freiheit und seine Qualität? – Haben diese Defizite damit zu tun, daß uns Bürgern unser Rundfunk zu egal ist und es zwar viel Meckerei aber zuwenig ernsthafte öffentliche Diskussion mit ihm gibt?
Korrespondenz mit den Justiziaren von ARD und ZDF
Inhalt: Die Antwort der Justiziare auf die im Text „Nicht zuständig für die eigene Freheit“ an sie gerichtete „Offene Frage“. – Und meine Erwiderung auf ihre Antwort.
„Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage“: trifft Mephistos Spott auch ARD und ZDF? –
Inhalt: Vertiefende Konkretisierungen meiner Vorwürfe mit „Offenen Fragen“ an Verantwortliche.
Indizien für eine Fehlentwicklung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks habe ich in diesem Text aufgelistet:
Genügt der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk den Anforderungen, die ein
nutzungsunabhängiger Beitrag an ihn stellt?
(Der ganze Text kann heruntergeladen werden: hier.)
(1) Einleitung
Es hat noch nie eine profunde, unabhängige und im Hinblick auf Aufgabenerfüllung und Leistungsfähigkeit umfassende Analyse des Örr gegeben [2]. Ohne daß seine Strukturen und Konzepte, seine Aufsichtsgremien und seine Finanzierung unabhängig und eingehend auf ihre Zweckmäßigkeit, Funktionalität und Notwendigkeit überprüft werden, muß der Rundfunk als verfassungsrechtlich bedenklich gelten.
(2) Unabhängigkeit, Größe und Qualität
Es gibt Indizien für die Herausbildung eines politisch-medialen Komplexes mit wechselseitigen Abhängigkeiten und Zugeständnissen, so daß der Örr sich weder frei und sachgemäß entwickeln konnte, noch unabhängig genug ist (2.1). – Es gibt ferner Indizien, daß die Gremien als Korrektiv für Fehlentwicklungen unzureichend sind, teilweise weil sie ebenfalls von der Politik dominiert werden, teilweise weil das Gremienkonzept strukturelle Schwächen hat (2.3). – Ein funktionstüchtiges Korrektiv ist aber um so notwendiger, als der Gesetzgeber, um die Rundfunkfreiheit nicht zu gefährden, keine vollzugsfähigen Maßstäbe aufgestellt hat, an denen ablesbar wäre, ob der Rundfunk seinen Auftrag angemessen erfüllt (2.2). – Bei einer Kombination von politischem Einfluß, unzureichender Aufsicht und fehlenden Maßstäben können wir ohne eingehende Untersuchung gar nicht wissen, ob der Örr akzeptabel funktioniert oder längst in gesetzwidrigem Maße ausgeufert, fehlgestaltet und verwässert ist ((2.4); (2.5; (2.6)).
(2.1) Politisch-medialer Komplex?
2.1.1 Mit dem letzten Rundfunkurteil [3]ist belegt, daß das ZDF seit seinem Bestehen nicht die erforderliche Staatsferne hatte sondern verfassungswidrig dem Einfluß von Parteien und regierenden Politikern ausgesetzt ist, ebenso wie einige ARD-Anstalten. Die Problematik war mehr als ein halbes Jahrhundert (!) bekannt und wurde immer wieder von Juristen, Wissenschaftlern und Journalisten angemahnt, aber von den Verantwortlichen stets ignoriert. Ein Minderheitenvotum kritisiert, daß der Einfluß der Parteien selbst durch das Urteil noch nicht weitgehend genug eingedämmt wurde [4].
2.1.2 Doch der Einfluß der Politik geht über die Zusammensetzung der Gremien hinaus. Auch unabhängig von den Zuständen beim ZDF scheint deshalb eine Untersuchung notwendig:
- Die obersten Führungskräfte werden nicht nach Kompetenz sondern nach Parteiproporz rekrutiert, der jetzige Intendant des BR als ehemaliger Regierungssprecher muß sogar als staatsnah gelten [5].
- Mißliebige Redakteure wurden entlassen: Franz Alt, als er die Atomkraft kritisierte (sein Intendant saß im Atombeirat der Deutschen Bank), Immo Vogel, als er den Irakkrieg kritisierte (sein Intendant gab an, die Berichterstattung solle nicht zu antiamerikanisch ausfallen) [6]; ZDF-Chefredakteur Brender weil er einem Ministerpräsidenten nicht behagte [7].
- Einfluß der Politik auf die Personalentwicklung scheint zur Regel zu gehören: Mitarbeiter unterlaufen mit ihren Beziehungen zur Politik Personalentscheidungen [8]. Manche Intendanten rekrutieren gleich nach Parteibuch [9]. Wilhelm von Sternburg, ehemaliger Chefredakteur des HR, befand: „Personalplanung nach rein sachlichen Kriterien war kaum möglich“ [10].
- Mit Hilfe der Rundfunkgesetzgebung kann die Politik sowohl Druck machen wie gefällig sein: Ein KEF-Mitglied moniert: „ARD, ZDF und DR setzen bei der Politik immer neue Angebote im Fernsehen, Radio und Internet durch, die dann im Rundfunkstaatsvertrag als Verpflichtung aufgenommen werden. Der KEF bleibt nichts anderes übrig, als für die Finanzierung der neuen Angebote die entsprechende Empfehlung zu geben“ [11] [12].
- Intendanten können mit der Politik paktieren, dadurch erhält die Politik indirekt Einfluß auf das Programm: Mit Intrigen, Karriereversprechungen, Bildschirmpräsenz und Arbeitsverträgen können Mitarbeiter gefügig gemacht oder ausgebremst werden [13]. Brender spricht von einem „Spitzelsystem“ für die Parteien: „Da finden Sie ein fein gesponnenes Netz von Abhängigkeiten, aus dem sich Karrierechancen, aber auch Verpflichtungen ableiten lassen“ [14]. Es ist von „Mutlosigkeit“ und „Anpassung“ die Rede, Sternburg meinte: direkte Einflussnahme der Politik sei überflüssig, „keiner schehrt aus“ [15].
- Eine Zensur ist möglich: „NDR-Hierarchen, die es sich mit der politischen Führung nicht verderben wollen, lassen einen Film … einfach in der Versenkung verschwinden“ [16].
- Beispiele für direkte Eingriffe der Politik finden sich zuhauf: Ein Ministerpräsident erzwingt beim Intendanten, eine Ansprache zu halten, als das Projekt „Startbahn West“ fraglich wird [17]. Ein Beitrag über einen Minister wurde aus dem Programm genommen, nachdem sich seine Sprecherin darüber beschwert hatte [18]. Dieter Hildebrands Sendungen wurden zweimal auf Geheiß von Politikern der Zensur unterworfen, einmal wurde beim ZDF gleich das ganze Format abgesetzt („Notizen aus der Provinz“) [19], ein anderes Mal klinkte sich der BR aus einer Übertragung von „Scheibenwischer“ aus [20].
2.1.3 Selbst wenn der Einfluß der Politik geringer geworden sein sollte: es muß überprüft werden, wie er sich auf die Entwicklung ausgewirkt hat: welche wegweisenden Entscheidungen nicht rein nach sachlichen Maßstäben getroffen wurden, sondern im Rahmen eines politisch-medialen Komplexes, d.h. grundgesetzwidrig; welche Auswirkungen das auf Größe, Gestaltung, Personal-, Konzept- und Kompetenzentwicklung des Rundfunks hatte, welche Nachteile dadurch künftig für die Erfüllung des grundgesetzlich verbürgten Auftrags entstehen und welcher Reformbedarf sich daraus zwingend ergibt. – Wer würde einen unkündbaren Vertrag abschließen, wenn es so viele berechtigte Mutmaßungen gibt, daß es bei der Entwicklung des Vertragsgegenstands nicht so zugegangen ist, wie der Vertrag versichert?
2.1.4 Eine Rundfunkverfassung muß mit der Umtriebigkeit von Politikern rechnen und dafür ausgelegt sein, damit klar zu kommen, ohne wesentliche Freiheitseinbußen befürchten zu müssen. Es liegt hier kein moralisches Versagen der Politiker vor sondern ein strukturbedingtes Versagen der Widerstandsfähigkeit des Örr. (Wieso hat z.B. ZDF-Chef Schächter nicht gegen den Eingriff des Ministerpräsidenten interveniert, obwohl es rechtlich möglich gewesen wäre? Wie soll man da als Außenstehender nicht auf die Idee kommen, daß es Verwobenheiten zwischen Politik und Örr gibt, die der Örr aus eigener Kraft nicht unterbinden kann [22].) – Es müßte untersucht werden, welche Schwächen das Immunsystem des Örr aufweist und welcher Entwicklungsbedarf daraus folgt – sonst ist der Örr wie eine Klinik ohne Hygiene…
2.2 Fehlen vollzugsfähiger Maßstäbe
2.2.1 „Auch das Bundesverfassungsgericht räumt ein, daß bei der Bestimmung, ob ein Fernsehprogramm funktionsentsprechend ist, vollzugsfähige materielle Maßstäbe fehlen. Da niemand sagen kann, welche notwendigen Voraussetzungen ein dem Funktionsauftrag entsprechendes Fernsehprogramm haben muß, kann auch niemand sagen, ob das Fernsehprogramm der öffentlich-rechtlichen Anstalten heute dem Funktionsauftrag entspricht, ob die Anstalten ihre Aufgaben und damit die verfassungsrechtlichen Vorgaben erfüllen oder nicht.“ [23].
2.2.2 Weil er nie genau wußte, wo er bezüglich Qualität steht und wo er hin soll, wußte er auch nie, wie er sich personell und strukturell zu entwickeln hatte. Der Örr brauchte sich nicht unbedingt nach sachlichen Maßstäben zu richten, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Die Rundfunkfreiheit wurde dadurch zu einer Freiheit von Sachbezogenheit (vgl. 2.5).
2.2.3 Es ist verfassungsrechtlich bedenklich, wenn die Qualität des Outputs einer Institution, für deren Finanzierung die Freiheits- und Eigentumsrechte der Bürger eingeschränkt werden, nicht justiziabel ist: „Wenn in der Verfassung oder im Zuge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein unbestimmter Rechtsbegriff auftritt, welcher Vorgaben und Verpflichtungen auferlegt, ist der Gesetzgeber oder ein sonstiger öffentlicher Rechtsträger aufgefordert, diesen Rechtsbegriff zu konkretisieren, um ihm entsprechen zu können“ [24]. – Zur Sicherung der Rundfunkfreiheit hat die Verfassung intendiert, die Gewährleistung der Qualität durch kommunikative Verfahren sicherzustellen, statt durch rechtliche Vorschriften. Aber die Rundfunkaufsicht ist noch nie auf ihre faktische korrektive Potenz überprüft worden. Es weiß eigentlich niemand, wie zureichend oder unzureichend sie ihre Aufgabe erfüllt. Dabei gibt es auch hier – über die schon genannten Auffälligkeiten hinaus – Indizien für mangelnde Funktionsgerechtigkeit:
2.3 Strukturelles Korrektivdefizit?
2.3.1 Politischer Einfluß in den Gremien
- Es sind mehr Parteipolitiker in den Gremien als gesetzlich vorgesehen, weil Parteipolitiker, die von Organisationen als Vertreter entsendet werden, offiziell nicht als Parteipolitiker in den Gremien sitzen [25].
- Parteivertreter haben „ein besonderes Verhältnis“ zur Intendanz, weil die Landtage die Staatsverträge abschließen [26].
- Außerdem haben sie mehr Zeit und sind professioneller für ihre Rolle geschult als die ehrenamtlichen Gremienvertreter [27].
Diese Befunde konvergieren mit dem Minderheitenvotum von Richter Paulus im letzten Rundfunkurteil: “In Wirklichkeit sind, wie nicht zuletzt die mündliche Verhandlung gezeigt hat, die Rundfunk- und Fernsehgremien ein Spielfeld von Medienpolitikern aus den Ländern, die – wie sollten sie auch anders – ihre medienpolitischen Konzepte in Fernseh- und Verwaltungsrat zu verwirklichen suchen. Damit erscheinen sie aber ungeeignet für die Aufsicht über die Gewährleistung der Rundfunkfreiheit… Die Vertreter gesellschaftlicher Gruppen sind von der Politik zur Durchsetzung ihrer Verbandsinteressen viel zu abhängig, um ihr von Angesicht zu Angesicht Paroli zu bieten” [28].
2.3.2 Aufsicht als Zensur?
Nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts dürfen die von Staat, Parteien und Verbänden entsendeten Vertreter nicht die Interessen ihrer Organisation vertreten, sondern sie “müssten… einen Rollenwechsel vollziehen und sich hier als die Sachwalter des Gesamtwohls verstehen“ [29]. Dieser Rollenwechsel wäre um so wichtiger, als z.B. die Verbände der Industrie überdurchschnittlich in den Gremien vertreten sind [30]. – Aber offenbar gelingt ihnen wegen ihrer Interessenkonflikte dieser Rollenwechsel nicht immer und es kann zu einer Art Vorzensur kommen: Der NDR-Intendant Jobst Plog klagte: „Ansätze zu investigativem Journalismus … werden durch Gremien eher behindert als begünstigt“ [31]. – Es wäre z. B. denkbar, daß über gesundheitsschädliche Produktionsmethoden nicht berichtet wird, weil Interessenvertreter der Industrie zusammen mit Vertretern einer Partei, bei der sie Lobbyarbeit betreiben, eine journalistische Investigation verhindern. Oder die Vertreter der Industrie schweigen zu fragwürdigen Ausweitungsinteressen des Örr, wenn der im Gegenzug seine Journalisten an die Kandarre nimmt. – Es müsste untersucht werden, ob Bündnisbildungen dieser Art Auswirkung auf die Entwicklung des Örr hatten. – Falls sie bisher kaum vorgekommen sein sollten oder noch nie viel angerichtet haben, so stellt es doch eine prinzipielle Achillesferse der Rundfunkaufsicht dar, die unter anderen historischen und gesellschaftlichen Bedingungen die Aufsicht ad absurdum führen könnte. Kurz: ein solches System ist nicht wirklich wasserdicht. Es ist sozusagen ein „Schönwetter“-System: Ein Örr, dessen Freiheit nur gewährleistet ist, wenn in den Gremien genügend „Heilige“ sitzen, ist nicht geschichtstauglich. Es müsste untersucht werden, wie sich der dadurch zu kalkulierende korrektive Mangel strukturell ausgleichen lässt.
2.3.3 Aufsichtsdefizite
Indizien für einen Mangel an korrektiver Potenz der Gremien ergeben sich aus den Unzufriedenheiten, die die Gremienmitglieder selbst äußern:
- Die Gremien können ausgetrickst werden: z.B. „… indem die Häuser eine Vielzahl von Einzelschritten gehen, die erst in der Summe und im Schlussergebnis eine grundsätzliche Entscheidung ausmachen“ [32], oder sie werden abgewiegelt mit Versprechungen, die nicht eingehalten werden [33].
- Vielen Mitgliedern fehlt Fachkompetenz, viele sind als Ehrenamtliche überfordert und wenig interessiert an Auseinandersetzungen [34]. – Offenbar ist das auch der Grund, warum die Gremien ihre Möglichkeiten oft nicht nutzen [35] .
- Auskunfts- und Einsichtsrechte sind ungenügend, „vor allem bezüglich Tochterfirmen und Usancen beim Handel mit Sportrechten“[36].
- Die Gremien sind finanziell nicht so ausgestattet, daß sie unabhängige Expertisen einholen können [37] d.h., sie können manches nicht beurteilen, weil sie keine Fachleute sind und haben keine Möglichkeit unabhängigen Fachverstand zu konsultieren. Sie können dann weder wissen, was bestimmte Entscheidungen langfristig bedeuten, noch wie notwendig oder „alternativlos“ sie sind.
2.3.4 Blinder Fleck
Es gibt kein Gremium, in dem Behauptungen über die Funktionsnotwendigkeit einer Ausweitung überprüft werden: Die KEF kann es nicht beurteilen und den Rundfunkgremien wird es vom Gericht nicht zu getraut [38]. – So wurde z.B. offenbar nie diskutiert, ob der Ausbau der Dritten Programme zu Vollprogrammen funktionsnotwendig war oder nicht. Auch die immensen Kosten für Doppelberichterstattung können offenbar aus prinzipiellen Gründen von der KEF nicht erfaßt werden [39]. Auf diese Weise wird die Rundfunkfreiheit zur Rundfunkwillkür.
2.3.5 Fazit
Staats-, Parteien- und Verbandsvertreter sind auf Treu und Glauben darauf verpflichtet, nicht ihre Interessen zu vertreten; die meisten Gremienmitglieder haben wenig Fachkompetenz und wenig Zeit, im Gegensatz zu den Vertretern der Parteien, die außerdem eine gewisse Nähe zum Gesetzgeber haben [40]; es gibt strukturelle Möglichkeiten, die Gremien zu umgehen; die Ausstattung der Gremien wird von einigen Gremienmitgliedern als unzureichend erachtet: Bei einem solchen Indizienbefund muß die korrektive Potenz der Gremien evaluiert werden. Bezüglich der Expansionslust des Örr, scheint es sogar, als ob er unbeaufsichtigt „freie Bahn“ habe. Unter dieser Bedingung kann nicht damit gerechnet werden, daß er im Rahmen des „Funktionsnotwendigen“ geblieben ist, d.h., die Beitragszahler werden wahrscheinlich mehr zur Kasse gebeten werden, als sie eigentlich verpflichtet wären:
2.4 Ausuferung
- Durch das Proporzprinzip ist fraglich, ob der Örr nicht eine unnötige Personalstruktur finanzieren muß, Ausgaben, die sich später über die Pensionslasten verlängern. Offenbar entstand eine „sachfremde Aufblähung des Apparates …ein „Wasserkopf“[41].
- Die Expansion des Örr gilt vielen als dubios: „Rein rechnerisch beglückt ein Sender alle fünf Jahre sein Publikum mit einem neuen Programm, inklusive Vollversorgung und Rundumschichtbetrieb“ [42]. So gibt es z.B. erhebliche Zweifel an dem Ausbau der Regionalprogramme zu Vollprogrammen, weil das deren ursprünglichem Auftrag widersprach [43].
- Um die Einführung des Beitrags nicht gleich durch eine Erhöhung unbeliebt zu machen, durfte die KEF auf dem von den Sendern eingereichten Wunschzettel Kahlschlag betreiben. Die Sender hätten damit wegen der Teuerungsrate ihren Funktionsauftrag eigentlich gar nicht erfüllen können Das führte zu der interessanten Konsequenz, daß sie offenbar „bislang eine zu hohe Finanzausstattung“ hatten, „die nicht ausschließlich dem zur Funktionserfüllung Erforderlichen entsprach“ [44].
Fehlen objektive Kriterien für Funktionsnotwendigkeit, kann niemand sagen, ob der Örr nicht längst mehr als doppelt so umfänglich ist, wie nötig. (Es sollte hier keine Denkverbote geben.) Jedenfalls scheint er mit seinen fast 100 Kanälen nicht auf das Funktionsnotwendige beschränkt. Solange den Bürgern der Rundfunk die Gebühr wert war, war nur entscheidend, daß die Gebühr nicht höher sein durfte, als sich jeder leisten konnte [45]. Ein unausweichlicher Beitrag jedoch darf nur für das erhoben werden, was für die Erfüllung des Auftrags wirklich notwendig ist [46]. – Der Umfang des Örr ist vor allem deshalb so bedeutend, weil er maßgeblich über die operative Freiheit des Rundfunks bestimmt: Es muß sichergestellt sein, daß das Geld nicht für Vervielfältigung sondern für Vielfalt und Qualität ausgegeben wird. Mangels einer kompetenten Aufsicht, vor der die Funktionäre in einer fachlichen Diskussion Rede und Antwort stehen mußten, sind hier Untersuchungen und Ermittlungen notwendig.
2.5 Fehlgestaltung
Folgende Indizien legen nahe, daß die Fehlentwicklungen auch Organisation, Konzeption und Personalausstattung betreffen:
2.5.1 Strukturelle Kompetenzdefizite
2.5.1.1 Norbert Schneider, ehemaliger SFB-Programmdirektor moniert einen Mangel an „Profis für die Kultur … speziell solche für das Fiktionale“: „Wie sollen Intendanten sich für eine über lange Zeit gehende Drehbuchentwicklung … einsetzen, wenn ihnen dieses Gebiet mit seinen Verfahren und seinen Widrigkeiten und seinen Kosten fremd ist? Vom Personal und von den Stoffen ganz abgesehen. … Und wo ist eine Politserie, wie sie uns nicht nur die Amerikaner, sondern längst auch Schweden und Dänen vormachen?“ [47]
2.5.1.2 Bertram moniert, der Dramaturg sei durch den „Producer“ ersetzt, worden, und „Kommunikation zwischen Auftraggebern und Ausführenden ähnele immer mehr „Verkaufsgesprächen“. „Nicht dramaturgisch gebildete Leute von der Produktionsseite“ drohten sogar mit Rechtsanwalt, sollte der Regisseur auf seiner Fassung beharren [48]. Er konstatiert ferner eine „zunehmende Dominanz der Technokraten über die Künstler“. Es gelangten „aus Gründen der Opportunität Kräfte in die Chefetagen…, die keinen sinnlichen Bezug zu ihrem von der Kreativität und der Phantasie lebenden Metier haben“ [49].
2.5.1.3 Es gab offenbar einen systematischen Abbau von qualifiziertem Wirtschaftsjournalismus, so drastisch, daß eine Studie dazu erschien, wegen der jetzt – dank der Gremien – wieder nach Fachredakteuren gesucht wird [50].
2.5.1.4 Bezüglich der Bildsprache bei Dokumentationen konstatierte ein Medienwissenschaftler „eine Revolution … zu Lasten der Qualität“: „Statt kreativ sein heißt es nun: Knöpfchen drücken“. – Klaus Bednarz monierte: „sehenden Auges werden Berufsbilder kaputt gemacht“ [51].
2.5.2 Autokratische Strukturen
2.5.2.1 Günter Rohrbach, Filmproduzent und langjähriger Fernsehspiel-Chef im WDR schreibt: „Der Intendant verantwortet das Programm wie ein Minister die Arbeit seines Ressorts. … Das heißt aber auch, er macht es nicht. … In der Regel (es gibt Ausnahmen) fehlt ihm auch die Kompetenz. Für die konkrete Programmgestaltung gibt es in den Sendern eine dafür ausgebildete Institution, den Redakteur. … Von ihrer Kreativität, ihrem Einfallsreichtum, ihrem Engagement hängt es ab, ob das Programm gut oder schlecht, vielfältig oder stereotyp, aufregend oder langweilig ist. … Das fundamentale Problem der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ist es, dass sie die Redakteure in den zurückliegenden Jahrzehnten systematisch entmachtet haben. Aus dem … Redakteursfernsehen ist das Intendantenfernsehen geworden. … Intendantenfernsehen zeichnet sich durch die Einfachheit und Klarheit der Ideen aus. Intendantenideen lassen sich in aller Regel mit einem Wort markieren: Jauch, Kerner, Pilawa, Illner, Will, Lanz, Plasberg, Maischberger, Fußball-Bundesliga, Champions League, Olympia, Skispringen, Gottschalk. Man braucht dazu keine Kenntnisse, die über das hinausgehen, was einem normalen Programmbeobachter auch einfallen könnte. Man braucht nur Geld, nicht selten ziemlich viel Geld“ [52].
2.5.2.2 Der Bundesverband der Film- und Fernsehregisseure schreibt in einer Pressemitteilung: „Die krakenhafte Ausdehnung öffentlich-rechtlicher Anstalten … durch Gründung von Tochterfirmen … gehört jetzt auf den Prüfstand. Das geschlossene, nur von wenigen Abteilungschefs beherrschte Auftragssystem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat Abhängigkeiten und Duckmäusertum erzwungen. Produktionsfirmen und freiberufliche Mitarbeiter, die oft besonders abhängig sind, sollten Missstände ohne Gefährdung ihrer weiteren Arbeitsmöglichkeiten und damit ihrer Existenz offenlegen können. … Notwendig sind neue und mutigere Formen und Formate, bevor ausländische Produktionen den deutschen den Rang ablaufen. Um das Qualitätsprogramm zu stärken, ist es notwendig, die Zusammenarbeit zwischen den Werkschöpfern, also zwischen Autor und Regisseur und dem programmverantwortlichen Redakteur zu verbessern und offener zu gestalten. … Die Programmgrundsätze des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind entsprechend zu präzisieren und regelmäßig kritisch (d.h. auch: durch Sachverstand von außen) zu evaluieren. Die verantwortungsvolle Entscheidung weniger Fernsehfilm- und Serienchefs und -chefinnen darf nicht zur dauerhaften Monokultur und Formatierung ganzer Sendeflächen führen“[53]. – Jürgen Kasten, der Geschäftsführer des Verbands, benennt als Mißstände: „ein zu stark hierarchisiertes, zu wenig kontrolliertes, von einigen Hauptabteilungsleitern … beherrschtes System, das Fernsehfilm- und Serienaufträge in Milliarden EUR-Höhe vergibt“ und „ein System von Tochterfirmen…, die Programm- oder Honorargrundsätze der öffentlich-rechtlichen Anstalten… frei auslegen.“ Das führe „zur Entwertung von Kontrollinstanzen.“ Und „einsamer Geschmacksentscheidungen von Programmautokraten“. … Auf den Prüfstand gehörten „die Programm- und Auftragsvergabekriterien ebenso wie das sich zunehmend verschlechternde Honorarsystem, in dem Autoren und Regisseure immer häufiger mit Pauschalen abgefunden werden, Entwicklungs- oder Überarbeitungskosten von Projekten versickern“ [54].
2.5.2.3 Scharfe Worte gibt es von hochkarätigen Regisseuren und Journalisten für die Führungskräfte des Örr: Es ist die Rede von „anachronistischer Arroganz, aus Machtgetue und Karrieregestrampel“ von „gebührenfinanzierten Sonnenkönigen“ und „feudaler Allmacht“ [55]. Doch die Führungskräfte des Örr sind als Führungskräfte wahrscheinlich völlig in Ordnung. Interaktionsstrukturen sagen Verhalten zuverlässiger voraus als Persönlichkeitseigenschaften. Arroganz und Autokratie sind immer Indizien dafür, dass die Interaktionsbedingungen zu wenig „herrschaftsfreien Diskurs“ zulassen, so daß sich die korrektive Kraft der Kommunikation zuwenig entfalten kann. Die Führungskräfte bleiben dann de facto allein mit ihren Einschätzungen und Entscheidungen. Das System des Örr war offenbar von Anfang nicht zweckmäßig dafür ausgestattet, solche Autokratieentwicklungen zu unterbinden. Führungskräfte finden das oft toll, aber tatsächlich hat es eine faustische Tragik: Der Starke ist am dämlichsten allein [56]. Intendantenfernsehen ist Dilletantenfernsehen. – Wir brauchen eine Untersuchung der kommuniktiven Strukturen des Örr unter der Fragestellung, ob die Führungskräfte eingebunden sind in einen hinreichend potenten korrektiven Kontext.
2.5.3 Fazit
Die Befunde legen nahe, daß quotenverhagelnde Themen einfach unterschlagen werden, weil die Kompetenz fehlt, die nötig wäre, um sie attraktiv darzubieten oder zu fiktionalisieren (wie z.B. in der amerikanischen Serie „The Wire“). – Ein Hinweis, daß die künstlerische Infrastruktur in Deutschland durch die Trivialitätsförderung bereits gelitten haben könnte, ist, daß 10 Mio Euro an eine dänische Firma vergeben wurden, um für das ZDF Krimis zu produzieren. Dieser Kauf macht den Eindruck, als ob die Rundfunkfunktionäre unfähig wären, mit ihren wesentlich üppigeren Mitteln in Deutschland eine Filmproduktion auf hohem Niveau zu entwickeln. Damit haben sie bezüglich eines wichtigen Aspekts des Kulturauftrags versagt. Sie scheinen das Schicksal rohstoffreicher Staaten teilen zu wollen: Infrastruktur? Wozu? Wir können doch alles kaufen!
2.6 Verwässerung
Dem Augenschein nach kann keine Rede davon sein, daß der Örr inhaltlich und qualitativ seinen Auftrag erfüllt. Er scheint weder so informativ, innovativ, identifizierbar und gehaltvoll, wie man das bei seiner Finanzausstattung billig erwarten könnte [58]. Seine Statistiken belegen zwar einen gewissen Qualitätsvorsprung vor den Privaten. Aber abgesehen von der Glaubwürdigkeit solcher Statistiken [59] geht es nicht darum, ob er „irgendwie“ besser ist , sondern ob er seinem Auftrag in einem Ausmaß nachkommt, wie es dem Budgets entspricht [60]. Hinweise auf eine Fehlentwicklung sind z.B. darin zu sehen, daß im Hauptabendprogramm oft Fernsehspiele gesendet werden, in denen die Schauspieler wie Dilettanten sprechen. (Das ist immer daran zu erkennen, wenn die Sprechgestaltung bezüglich Sprachmelodie und Sprechpausen ähnlich vorhersehbar ist wie bei gecoachten Laiendarstellern.)
2.6.1 Trivialisierung
Fachleute kritisieren:
- „Es geht nicht mehr … darum, wie originell eine Geschichte ist, wie konsequent sie erzählt wird, wie überzeugend die Schauspieler sind, sondern darum, welche Versatzstücke gebraucht werden, um eine bestimmte Zielgruppe anzusprechen“ [61]. „Die Ausrichtung auf den Marktanteilsprofit hat die Freiräume durch Vorgaben bis hin zu Kamera-Einstellungen ersetzt … Produzenten müssen Ideen wie Marketingmanager verkaufen“ [62].
- Ausgiebige kritische Interviews gebe es kaum noch, stattdessen unverbindliches Talkshow-Geplauder. Es gehe mehr um Witz und Schlagfertigkeit als um Inhalte, Fragen würden nicht gestellt und Relevanz vorgetäuscht durch die Anwesenheit von Spitzenpolitikern [63].
- Die Programme seien seichter und konfliktärmer geworden [64].
- Die Auslandsberichterstattung ignoriere ganze Kontinente, der Wirtschaftsjouralismus sei regelrecht verkümmert, die politische Magazine zeitlich beschnitten und die Mittel für Recherche so gekürzt, daß anspruchsvollere Projekte kaum noch möglich seien [65].
- In den Regionalprogrammen bekämen Tierbabys im Zoo viel Aufmerksamkeit, während wirtschaftliche und politische Themen gar nicht vorkämen oder nur in Form von Kurznachrichten [66].
- Für ein Fußballspiel gegen Island brachte das ZDF siebeneinhalbstunden Berichterstattung. Der WDR widmete dem Geburtstag von Schalke 04 zehn Stunden Berichterstattung (und kassierte damit einen Vergleich mit dem nordkoreanischen Staatsfernsehen) [67].
2.6.2 Auftragsverfehlung Quotenkauf: Vervielfältigung statt Vielfalt
2.6.2.1 Es scheint, daß der Örr alles kopiert oder aufkauft, was Quote bringt, aber so gut wie keine Anstrengung unternimmt, selbst neuartige quotentaugliche Filme und Formate zu entwickeln.
Immer wieder ist darauf hingewiesen worden: Die Beitragszahler haben nichts davon, im Örr dasselbe in grün zu sehen, was sie auch bei den Privaten sehen können [68]. – Durch den wettbewerbsverzerrenden Effekt der Beitragsfinanzierung werden Sportrechte und Clownkäufe außerdem unverhältnismäßig teurer. Für Innovation, für die Entwicklung neuartiger Formate, eine der Kernaufgaben des Örr, ist dann immer weniger Geld da. – Dazu ein Gedankenexperiment: Angenommen, die Gremien wären ein Parlament. Gäbe es irgendeinen Abgeordneten der ernsthaft versuchen würde damit zu punkten: „Wir lassen es Euch hunderte von Millionen kosten, dass Ihr Fußball auf unseren Kanälen schauen könnt, statt bei den Privaten!“ [69]
2.6.2.2 Die Quote muß auf ihren Aussagewert hinterfragt werden: Sie darf nicht durch Bedienung der quotenträchtigsten Zielgruppe erreicht werden, Zielgruppenfernsehen ist nicht Grundversorgung sondern Mogelei. Quote muß gequotelt werden: aufgeschlüsselt nach verschiedenen Generationen und gesellschaftlichen Gruppen [70].
2.6.2.3 Wenn das Durchschnittsalter der Zuschauer öffentlich-rechtlicher Programme 61 Jahre ist, ist das ein weiteres Zeichen dafür, daß das Korrektiv des Örr versagt hat. Wie war es möglich, daß eine sich abzeichnende Tendenz über Jahre nicht korrigiert wird? – Wird diese Frage nicht beantwortet, können wir nicht wissen, welche weiteren Fehlentwicklungen entstehen, die erst nach Jahren, wenn die Öffentlichkeit immer anmahnender wird, auf die Agenda der Intendanten gesetzt werden. Das Problem an solchen Fehlentwicklungen ist nicht nur, das ihnen nicht von heute auf morgen abzuhelfen ist, sondern daß dadurch nicht ausgeschlossen ist, daß der Örr Tendenzen mitmacht, die schließlich dazu führen, daß es gar keine Öffentlichkeit mehr gibt, die seine Fehlentwicklung anmahnen könnte…
2.6.3 Fazit:
2.6.3.1 In der Kriegskunst galt es immer als einfältig, sich auf die Art der Kriegsführung einzulassen, die der Feind aufzunötigen versucht. – Mutter Natur hat gut für uns gesorgt: 70% aller Menschen sind normalintelligent, 15% überdurchschnittlich. Die Behauptung, mediale Attraktivität erreiche man nur mit Trivialisierung, widerspricht allem, was wir vom Menschen wissen. Das scheint eher der Glaube von Funktionären zu sein, die die kreativen Möglichkeiten nicht kennen. Wer Künstler durch Trendtechniker ersetzt, implementiert Beschränktheit strukturell. Das verfehlt den Auftrag. Oder auf gut deutsch gesagt: es ist ziemlich daneben. –
2.6.3.2 „Publikumsgeschmack ist keine Naturkonstante“ meinte Jurek Becker, verärgert über die Zensur im Namen der Demokratie an seinen „Liebling Kreuzberg“-Drehbüchern [71]. – Die Aufgabe des Örr ist es, systematisch Methoden zu entwickeln, mit denen sachlich gebotene Inhalte und Formen, die den Rezeptionstendenzen der Zuschauer habituell unmittelbar zuwiderlaufen, an diese Tendenzen angeschlossen werden können. Eine solche Produktentwicklung ist voraussetzungsvoll und langwierig. Es muß juristisch überprüft werden, was der Örr unternommen hat, um diese Aufgabe zu erfüllen: Wie viele Mittel wurden eingesetzt, um Quote mit Qualität zu verbinden? Welche Überlegungen gab es? Was ist versucht worden? Wie systematisch waren die Versuche? Wie wurden sie ausgewertet und variiert? Welche wissenschaftliche Begleitung gab es? – Ich habe keine Hinweise darauf gefunden, daß solche Fragen je ernsthaft diskutiert worden wären. Offenbar sind die Verantwortlichen gar nicht auf die Idee gekommen, daß eine solche Produktentwicklung spätestens mit Abzeichnung des Quotenproblems zur vordringlichsten Aufgabe des Örr gehört hätte. Es muß die Möglichkeit erwogen werden, daß durch die einseitige Ausrichtung auf Parteipolitik die Bedeutung der künstlerischen, bildungsbezogenen und informationsästhetischen Kompetenzentwicklung systematisch ignoriert wurde und der Örr seinen Auftrag regelrecht verkannt hat. Damit würde er sich eindeutig im verfassungswidrigen Bereich bewegen. – Jedenfalls: So wie der Örr jetzt ist, ist er wie ein Skipper, der unfähig ist, gegen den Wind zu kreuzen.
3 Zusammenfassung
3.1 Das Bundesverfassungsgericht stellte klar: „Es ist der Rundfunk selbst, der aufgrund seiner professionellen Maßstäbe bestimmen darf, was der gesetzliche Rundfunkauftrag in publizistischer Hinsicht verlangt“ [78]. Doch es scheint, als ob der Rundfunk weder wirklich selbstbestimmt war, noch in allen wesentlichen Aspekten seiner Aufgaben professionelle Maßstäbe berücksichtigte, ja, es ist fraglich, ob er mittlerweile überhaupt noch über das ganze Arsenal von Professionalität verfügt, das sein Auftrag „in publizistischer Hinsicht verlangt“ oder ob nicht Vieles vielfach vorkommt, Teures unnötig ist und Wichtiges fehlt.
3.2 Es ist für Außenstehende schwer einzuschätzen, was wirklich los ist, es gibt auch immer wieder glaubwürdige Aussagen, die nahelegen, daß doch alles nicht so schlimm zugeht beim Örr, wie mein „Sündenregister“ suggeriert [79]. Andererseits legen die Befunde nahe, die Möglichkeit nicht zu unterschätzen, daß kumulative Effekte selektiver Deprofessionalisierunglangfristig zu gravierenden Fehlentwicklungen geführt haben könnten [80] . – Jedenfalls: Angesichts der Einfallslosigkeit der Quotenstrategie und der umfassenden Trivialisierung und angesichts der Indizien für parteipolitische Einflußnahme nicht nur auf Tagesgeschäft und Personalentscheidungen sondern seit Beginn des Örr direkt und indirekt auch auf seine Struktur- und Konzeptentwicklung: angesichts all dessen halte ich es rechtsstaatlich für unhaltbar, ein durch Grundrechtseinschränkungen gesichertes 8 Milliardenbudget, das nach den Intentionen der Verfassung nicht den Parteien sondern Kultur und Demokratie zu gute kommen soll, einer unreformierten, intransparenten und wenig glaubwürdigen Institution und ihren nie evaluierten Prozeduren zu überlassen.
3.3 In den Rundfunkurteilen des Bundesverfassungsgerichts ist immer wieder zu spüren, wie unbefriedigend die Richter die Situation finden. Angesichts der Ratlosigkeit, wie Freiheits- und Vollzugsfähigkeitsforderungen zu vereinbaren sind, sprechen sie von einem „Dilemma“ [81]. – Es handelt es sich ähnlich wie beim Erhebungsdefizt der alten Rundfunkgebühr um ein „auf Ineffektivität angelegtes Recht“. So etwas verbietet die Verfassung [82]. Durch die Entscheidung für oder gegen das Rundfunkangebot, die mit der Gebührenfinanzierung gegeben war, war dieses Dilemma nicht so gewichtig. Wird aber die ganze Nation unausweichlich verpflichtet, den Örr zu finanzieren, müssen daran, wie er de facto ist, andere Maßstabe gestellt werden als bisher, er kann sich dann nicht mehr darauf ausruhen, für was er de jure gilt. – Es gibt bereits genug Modelle, die Vollzugsfähigkeit der Normen, denen ein Örr genügen muß, zu verbessern, ohne seine Freiheit zu gefährden, und es spricht nichts dagegen, daß noch mehr und noch Besseres gefunden und entwickelt werden kann. Es müsste begründet werden, warum die dilemmatische Situation, die das Bundesverfassungsgericht konstatiert hat, selbst nach dem mit dem Beitrag verbundenen Eingriff in die Grundrechte nicht verbessert werden muß, obwohl sie verbessert werden könnte [83].
Belege
1 „Für ebenso verwunderlich halten die Gutachter, dass die Durchschnittskosten mit steigenden Zuschauerzahlen eigentlich sinken müssten und damit auch der Beitrag, den ein jeder für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu entrichten hat. … Das öffentlich-rechtliche System eines Achtzig-Millionen-Einwohner-Landes müsste zu günstigeren Konditionen senden können als eines, dem dieselbe Qualitätsproduktion in einem ungleich kleineren Staat mit sehr viel weniger potentiellen Zuschauern abverlangt wird. Der internationale Vergleich zeigt,indes, dass dies nicht der Fall ist. So stehen einem Finanzaufkommmen von einer Million Euro bei ARD und ZDF 4143 Zuschauer gegenüber, in Großbritannien sind es 7429, in Frankreich 8537, in Italien 15371“. – (FAZ 22.05.15, S.15)
2 Brenner 18f
3 BVerfG, 1 BvF 1/11 vom 25.3.2014. – Ein Beispiel, wie unfrei das ZDF tatsächlich war: „Der von Politikern dominierte Fernsehrat des ZDF beschloß, Diskussion zu definieren als eine Form der Vermittlung von Meinungen. Der Diskussionsleiter habe demnach eine „neutrale Rolle“ zu spielen. Politiker durften nicht hinterfragt werden, sie durften nicht einmal darum gebeten werden, Klartext zu reden, wenn sie sich mal wieder nicht festlegen oder etwas im Unklaren lassen wollten. Die Politiker erlangten „einen eindeutigen Rede-Vorteil …, so daß sich die Diskussionssendung nicht als bürger-, sondern als politikerorientiert darstelle und somit keinesfalls zu einer ausgewogenen Darstellung verschiedener Meinungen kommen könne“ (Krebs).
4 BVerfG, 1 BvF 1/11 vom 25.3.2014, 115ff (Minderheitenvotum von Richter Paulus)
5 Belege:
- „Es ging überhaupt nicht mehr um Qualifikationen für Leitungspositionen, sondern nur noch um Parteienproporz“ (Wolf 12).
- Die Gewerkschaften nennen die Wahl eines Regierungssprechers zum Intendanten eine „Bankrotterklärung für die gesetzlich geforderte Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ (nach Wolf ebd.).
- Wie wenig es auf Fachlichkeit aber stattdessen auf die richtige Parteilichkeit bei Intendanten ankommt, zeigt Bertram am Fall des Intendanten W. Hilf, ursprünglich Landtagsabgeordneter, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU, Staatskanzleileiter, „der lediglich als Mitglied des medienpolitischen Koordinierungsausschusses seiner Partei Erfahrungen mit dem Fernsehen gemacht hat“. (Bertram 66). Später ordnete Hilf einer Fernsehspielredaktion, die bis dahin „Garantin für Seriosität und Qualität“ gewesen sei, die Verfilmung von Konsalik-Romanen an (Bertram 95).
- Als einmal ein nach politischem Tauziehen nominierter Intendantenkandidat wegen mangelnder Qualifikation von einem Rundfunkrat nicht gewählt wird, bewertet die spätere Intendantin diesen Vorgang als „Zivilcourage“. Wolf kommentiert erstaunt: der Rundfunkrat habe „nur getan, was seines Amtes ist“ (Wolf 13). Das zeigt, wie unselbstverständlich es offenbar ist, daß ein Rundfunkrat seines Amtes waltet.
- Jürgen Bertram, ehem. Auslandskorrespondent und Redakteur: Die Verteilung der Proporz-Posten führe dazu, „dass Kandidaten in Schlüsselpositionen [geraten], die sich zum Funktionär besser eignen als zum Journalisten“ (Bertram 54).
6 Bertram 66 und 195
8 Belege:
- SFB-Indentant Franz Barsig 1979: „Der Druck der Parteien wird von Jahr zu Jahr stärker, und er hat in einem Maße zugenommen, das dadurch praktisch das gesamte System in Frage gestellt ist. … Es gibt im öffentlich-rechtlichen System inzwischen eine Fülle von Mitarbeitern, die die Parteien … mit Munition beliefern. Wenn solche Leute bemerken, dass eine frei gewordene Position aus Qualitätsgründen mit dem oder jenem Mitarbeiter, nicht aber mit ihm besetzt werden soll, dann rennen sie natürlich sofort zu ihrem Parteifreund und beschweren sich – und schon haben Sie die Rückwirkung von außerhalb des Hauses“ (nach Bertram 71).
- Ulrich Kienzle, langjähriger Auslandskorrespondent: „Es sind mittelmäßige Journalisten durch Beziehungen zu Parteien in Positionen geraten und haben dann diese Beziehungen genutzt, um in der Hierarchie nach oben zu klettern“ (nach Bertram 54).
- Scharfe, möglicherweise zu scharfe Worte findet Cordt Schnibben. Journalist: „Unter dem Druck der privaten Konkurrenz wird den (engagierten) Programmverantwortlichen nun schmerzlich bewußt, was für Hilfskräfte ihnen die Parteien jahrzehntelang untergeschoben haben. Das größte Problem der ARD: Die Proporz-Nullen sitzen nicht einfach nur überall, sondern vor allem an den Schaltstellen“ (Schnibben 1989). – Offenbar gelangen nicht nur Parteivertreter sondern auch Schwiegertöchter bevorzugt in den Örr… (Interview mit damaligem ARD-Intendanten Kelm, Schnibben 1989). – (Ob die über Proporz eingestellten Mitarbeiter immer Nullen sind, ist die Frage. Und auch die Schwiegertöchter müssen nicht immer Nullen sein. In Ordnung ist es aber dennoch nicht.)
9 Meyn 124
11 Siebenhaar 20
12 Belege:
- Heinz Burghart, bis 1990 Chefredakteur Fernsehen beim BR: Die Politiker hätten den „großartig konzipierten“ Örr „verdorben“. – Sie „unterwarfen… durch Rundfunkgesetze und deren fallweise nützlich erscheinende Veränderung ihrem Einfluß, ja ihrer Entscheidung. … Der Örr wird in Deutschland nur überleben, wenn es gelingt, ihn den Politikern aus den Händen zu nehmen“ (nach Meyn 141).
- Cordt Schnibben „… die Parteien … haben die ursprünglich liberalen Rundfunkgesetze so lange novelliert, bis ihr Zugriff Gesetz wurde“ (Schnibben 1989).
- „Rundfunkgesetze entstehen in Wahrheit vor allem durch die Kunst, den Konsens nicht zu stören. Das Ergebnis davon ist beispielsweise, dass die Zahl der öffentlich-rechtlichen Sender stetig wuchs“ (Tieschky/ Süddt.Zeitung).
13 Belege:
- Rüdiger Proske, Mitbegründer von „Panorama“: „…Wir stritten für eine bessere, offenere, liberalere Demokratie. Aber das war inzwischen nun allen zuviel, auch der SPD. … Schröder [früherer NDR-Intendant] begann hinter meinem Rücken zu intrigieren und meine Mitarbeiter… durch Beförderungsversprechen gegen mich aufzubringen“ (Bertram 46f).
- Gert v. Paczensky, Mitbegründer von „Panorama“: „Andererseits war Schröder für seine weitere Herrschaft im NDR auch von der CDU abhängig, da die SPD nicht genug Stimmen im Verwaltungsrat hatte. Wir bekamen von unserem Intendanten mehr Intrigen zu spüren als Förderung…“ (Bertram 46f).
- WDR-Intendant von Bismarck (1985): „Unter dem Druck der politischen Parteien sind inzwischen in fast allen Rundfunkanstalten Tendenzen zur Anpassung an gängige Mehrheitsströmungen erkennbar. In gleichem Maße entschwindet der Mut zum Risiko, zum Vertreten einer unbequemen Meinung“ (nach Siebenhaar 218).
- Klaus Bednarz, ehemaliger Redaktionsleiter Monitor: „doch, es gibt ihn noch, den kritischen Nachwuchs. Aber in der Praxis wird von ihm Anpassung verlangt. Kritisches Bewusstsein behindert die Karriere. Ideale werden schnell gebrochen“ (nach Bertram 232)
- Klaus Bresser ehemals ZDF-Chefredakteur: „Viele Journalisten haben mögliche Eindwände oder Klagen so verinnerlicht, daß sie praktisch Vor- und selbstzensur üben“ (zitiert nach Meyn 139).
- Zu den Druckmitteln Bildschirmpräsenz und Arbeitsverträge: Bertram 50
14 Konkretisierend fügt er hinzu: „dass Politiker einen ganz schnell mit vertraulichen Infos konfrontieren, die sie nur von solchen Zuträgern haben können.“ (Spiegel online, 20.2.2010)
15 nach Assheuer
16 Bertram Bsp. S. 52f
18 SZ nach wolf 34
19 Die Welt 29.3.13 Das ZDF im Zangengriff politischer Einflussnahme
20 Belege:
- 1986 versuchte der Fernsehdirektor des BR der ARD eine Scheibenwischerfolge auszureden. Als er keinen Erfolg hatte, klinkte er den BR aus der Übertragung aus (Quelle: Wikipediaeintrag „Scheibenwischer“).
- Dagobert Lindau, langjähriger Fernsehjournalist: Eingriffe der CSU beim BR gehörten „zu den alltäglichen Mechanismen, nur raus kommt´s nicht immer“ (nach Bertram 70)
22 Spiegel online, 22.2.2010. Wolf: 11f
23 Brenner 258. Er bezieht sich auf: BVerfGE 90, 60, 97 ff
24 Brenner ebd.. Vgl. auch Bullinger S. 12 ff und S. 88
25 Belege:
- „Parteipolitiker kommen nicht nur als Delegierte von Parlamenten in die Gremien, sondern oft auch über entsendende Organisationen“. So wird schon mal der Chef einer Staatskanzlei als Verbrauchervertreter in Gremien entsandt (Wolf 29 und 35). Auf diese Weise waren 55 der 77 Gremienmitglieder des ZDF-Fernsehrates der „staatlichen Sphäre zuzurechnen“ (Dörr in Siebenhaar 202).
- Das Urteil des Gerichts über die ZDF-Gremien ist vernichtend: ”Dass die getroffene Auswahl darauf ausgerichtet wurde, diese [staatsvertraglich vorgeschriebenen W.L.] Bereiche plural abzudecken, ist nicht ansatzweise ersichtlich” (BVerfG, Urteil v. 25.03.2014, Az. 1 BvF 1/11, 95). – Wenn die Funktionäre den Auftrag, der ihnen von der Verfassung übertragen wurde, schon bei der Einrichtung des Örr so wenig ernst nahmen, müssen wir uns auch fragen, was sie sonst alles bezüglich ihres Auftrags nicht ernst nehmen – vor allem bezüglich einer aufgabengerechten Entwicklung aber bezüglich ihres Auftrags selbst.
26 Belege:
- Peter Deutschland, ehem. DGB-Vorsitzender Nord, NDR-Rundfunkratsmitglied:„Faktisch spielen die Strukturen den Parteien in die Hände… Alles läuft über die medienpolitischen Sprecher… der Landtagsfraktionen… Sie haben auch zur Intendanz ein besonderes Verhältnis… aus ihrer politischen Funktion heraus: Die Landtage müssen den NDR-Staatsvertrag beschließen“ (in: Wolf 76f). –
- Medienwissenschaftler Horst Röper: „An den Schaltstellen in den Rundfunkräten sitzen stets die Parteistrategen“, . Sie reden bei Personalentscheidungen das entscheidende Wort mit, und Personalentscheidungen sind Programmentscheidungen. … (Zitat aus Assheuer)
27 Die entsandten Parteimitglieder „verfügen über Ressourcen, Infrastruktur und Zeit, auf die die meisten anderen ehrenamtlichen Gremienmitglieder nicht zurückgreifen können. Damit ist ihr Einfluss in den Gremien überproportional zu ihrer nominalen Bedeutung (nach Wolf 38. Ähnlich der ehemalige ARD-Intendant Kelm in Schnibben 1989.)
28 BVerfG, 1 BvF 1/11 vom 25.3.2014. 119 (Minderheitenvotum von Richter Paulus)
29 Wolf 22. Im ZDF-Urteil hatte das Gericht bestimmt: “Die Bestellung staatlicher Mitglieder erfolgt nicht, um ihnen eine Option zur einseitig-autoritativen Durchsetzung von Entscheidungen in Wahrnehmung eigener politischer Kompetzenzen zu eröffnen, sondern in Blick auf die Einbringung verschiedener Perspektiven und eine vielfältige Rückbindung des öffentlich-rechlichen Rundfunks” (BVerfG, 1 BvF 1/11 vom 25.3.2014. 42) Paulus kommentiert, diese Bestimmung formuliere “einen utopischen, kaum überprüfbaren Maßstab für die Ausübung des erteilten Mandats” (125). – So auch Meyn 122.
30 Wolf 28. So auch Schnibben: „Faustregel: Wenn sich in den Länderparlamenten die Mehrheiten ändern, ändern sich auch die Rundfunkgesetze. Die neuen Landesregierungen entdecken garantiert gesellschaftliche Gruppen, die bisher im Rundfunkrat unterrepräsentiert waren, novellieren und ändern so die Stimmenverhältnisse zu ihren Gunsten. In Berlin hievten CDU und FDP 1982 per Gesetz mehr Unternehmer in den Rat…“ (Schnibben 1989)
32 Grätz 2
33 Peter Deutschland: „Als die Sendezeiten für die politischen Magazine der ARD gekürzt wurden, haben wir das massiv im Rundfunkrat thematisiert. Die Intendanz… argumentierte, die Länge der Magazine sage nichts über die Qualität aus. Das war für uns nicht zu akzeptieren, aber wir konnten uns nicht durchsetzen. … Man wird dann damit vertröstet, daß das Thema nach einiger Zeit noch mal auf den Prüfstand kommen soll. Aber wie das so ist: dann verläuft das im Sande“ (in: Wolf 76).
34 Belege:
- Wolf 77: „Aber eine Ausbildung, ein Erfahrungsaustausch oder eine Weiterbildung, wie das z.B. für Betriebsräte oder Aufsichtsräte organisiert wird, das findet für Gremienmitglieder nicht statt“.
- Assheuer: die Gremien sind oft nur rechtschaffene Laienspielscharen „wir brauchen mehr Professionalisierung“ (Assheuer).
- Dieter Pienkny, für den DGB Mitglied in den Rundfunkräten von RBB und ARD: „Es sitzen schon viele Honoratioren in diesem Gremium, die nicht sonderlich daran interessiert sind, medienpolitisch zu denken und die auch gar nicht so in der Materie stecken. Man kann diese Gremienmitglieder gar nicht auf die Arbeitsebene ziehen, sie haben nicht die Zeit für eine mehrstündige Programmbeobachtung. Ich denke, man muss Leute entsenden, die… über die nötige Kompetenz verfügen… Alle Verbände und Organisationen sind aufgefordert, die Leute zu schulen, die sie in die Gremien schicken“ (in: Wolf 73f).
- Reinhard Grätz, ehemaliger Vorsitzender des WDR-Rundfunkrates: „Gremienmitglieder sind manchmal als Ehrenamtliche zeitlich überfordert“ (Grätz 7) .
- Cordt Schnibben: Ergebnis einer Befragung sei, „daß die Räte den Grund für ihre mangelhafte Arbeit zu 76 Prozent in „anderweitigen beruflichen Verpflichtungen“ sehen, zu 39 Prozent in „mangelnder Sachkenntnis“ und zu 16 Prozent in „mangelndem Interesse“. Weiter schreibt er: „SPD-Oldtimer Carlo Schmid faßte seine unermüdliche Fernsehratstätigkeit einst mit den Worten zusammen: „Öffentlich-rechtliche Unternehmen von der Größenordnung unserer Fernsehanstalten kann man nicht durch Gremien von Dilettanten kontrollieren.“ Zwei Drittel der befragten ARD-Rundfunkräte stimmen dieser Kapitulation zu. Fazit der Studie: „Das ganze System muß überdacht werden.“ (Schnibben 1989). – (Man sollte Dilettanten, wenn sie lebens- und berufserfahren sind, nicht unterschätzen: sie stellen Zusammenhänge her, die den Fachleute nicht im Blick sind. – Aber das Problem von Dilettanten ist: das sie meist nicht einschätzen können, inwieweit sie etwas einschätzen können und inwieweit nicht…)
35 Wolf 27. Grätz: „Der Verwaltungsrat des WDR machte erst einmal von seinem Einsichtsrecht in die Unterlagen der Sender Gebrauch. Wenig bekannt ist, daß dieses Recht auch dem Rundfunkrat zusteht, der davon im WDR noch nie Gebrauch gemacht hat“ (Grätz 3)
36 Wolf 16 und 44
37 Belege:
- Wolf 83: die Sender müßten für die Gremien „bessere finanzielle und organisatorische Rahmenbedingungen schaffen, damit diese ihre Kontrollaufgabe in Unabhängigkeit wahrnehmen können“
- Die Vorschläge zur Verbesserung der Gremienarbeit zeigen, welche Defizite bestehen: „Ausbau von Auskunfts- und Einsichtsrechten; Evaluation sowohl der programmlichen Tätigkeit des Senders als auch der Gremienarbeit im Hinblick auf die Umsetzung seiner Beratungen; Veröffentlichung der Beratungsergebnisse; Finanzielle Ausstattung zur Einholung von Expertisen“ (Wolf 50f).
- Sabine Nehls, Medienberaterin des DGB, ehemaliges DLF- Rundfunksratsmitglied, befindet: dass der „Einfluß der Exekutive der Sender“ auf „Themensetzung und -vorbereitung der Gremiensitzungen zurückgeschraubt“ werden müsse und die Gremien mit eigener Infrastrutkur, besser ausgestattet würden (Wolf 27).
- Wolfgang Schulz, Direktor des Bredow-Instituts für Medienforschung: „Der Rundfunkrat ist gerade wegen seiner gesellschaftspluralen Zusammensetzung der Öffentlichkeit in besonderer Weise verpflichtet…. In Programmfragen kann die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden. … Gerade die Abläufe der Entscheidungsfindung auf der Ebene des Rundfunkrates sind ein wichtiger Anlass für eine Öffentlichkeitskontrolle. Vermachtungstendenzen werden dadurch direkt wahrnehmbar. Die Öffentlichkeit der Sitzungen ist daher ein wichtiges Mittel für eine Gegensteuerung. … Zur weiteren Verbesserung der Transparenz der Gremienarbeit sollte jedes Gremium verpflichtet sein, der Öffentlichkeit jährlich einen eigenen Rechenschaftsbericht vorzulegen, die Mitglieder in einem (auch im Internet veröffentlichten) Handbuch nach entsendender Stelle, beruflicher Tätigkeit, sonstige ehrenamtliche Funktionen und Mitgliedschaften, ähnlich dem parlamentarischen Brauch aufzuführen, die Öffentlichkeit nach jeder Sitzung in einer Pressekonferenz und mit einer (auch in das Internet eingestellten) Pressemitteilung zu informieren, regelmäßig eine öffentliche Fragestunde abzuhalten. (Schulz 2002).
38 Belege:
- Terschüren 31ff :„Die Bestimmung der Abgabenhöhe konnte … nicht ausschließlich den Rundfunkanstalten überlassen werden, weil damit nicht hätte sichergestellt werden können, dass die finanzielle Ausstattung nur in der Höhe des Notwendigen stattgefunden hätte. Das „Selbstbehauptungs- und Ausweitungsinteresse“, das wohl jeder Institution innewohnt, hätte vermutlich zu überhöhten Abgaben geführt und somit wären die Interessen der Abgabepflichtigen nicht ausreichend beachtet worden“.
- Bullinger 12f: „Von der binnenpluralen Struktur einer öffentlich-rechtlichen Rundfunk-anstalt, also von der Kontrolle durch die in einem Rundfunkrat vertretenen wesentlichen gesellschaftlichen Kräfte, erwartet das Gericht keine hinreichend sichere Gewähr dafür, daß die Grenzen des Funktionsauftrags eingehalten werden … die KEF sieht sich mangels vollzugsfähiger Maßstäbe außerstande, voll nachzuprüfen, wie weit zusätzlicher Finanzbedarf einer Anstalt durch eine “funktionsnotwendige” Rundfunktätigkeit entstanden ist. … Deshalb erkennt die KEF im Normalfall ein Programm als funktionserforderlich und daher aus Rundfunkgebühren finanzierbar an, wenn es vom binnenpluralen Rundfunkrat gebilligt worden war, einem Organ also, von dessen interner Kontrolle gerade nach dem Rundfunkfinanzierungsurteil des Bundesverfassungsgerichts kein genügend sicherer Schutz der Rundfunkgebührenzahler zu erwarten ist.“
39 Mit ARD und ZDF sieht man doppelt: Wenn der Örr nicht ein sondern zwei Teams zur Olympiaberichterstattung nach Peking schickt, so daß Deutschland da mehr Journalisten als Sportler hat, mutet das schildbürgerhaft an (Siebenhaar 98). Es gibt keinen öffentlichen Kontext, in dem der Örr für solche Verschwendung Rede und Antwort stehen müßte! – Der Örr behauptet gleichzeitig, für Qualitätsserien kein Geld zu haben, aber durch die Konkurrenz bei Doppelberichterstattungen ihre Qualität heben zu müssen (Marmor/Spiegel 2013. Bellut/Zeit 2013). – Man sollte einzelne Funktionärsmeinungen sicher nicht überbewerten, aber vertrauenswürdig ist es nicht, wenn ARD-Programmdirektor Herres sagt: „Das Land ist groß genug, um sich zwei öffentlich-rechtliche Sender leisten zu können“ (Bellut/Zeit 2013). – Wenn überhaupt, dann wäre die Frage nicht, ob das Land groß genug ist, sondern ob die niedrigsten Einkommen hoch genug sind! Aber auch das ist nicht die Frage, sondern allein: was funktionsnotwendig ist. Herres zeigt mit seiner Ausage, daß er nicht nur die soziale Realität ignoriert, sondern auch seinen Auftrag. – Wenn er ihn hier ignoriert – wo sonst noch? – Und wenn er so ignorant ist – wer von denen ist es sonst noch? – Das sind alles Indizien dafür, wie nötig eine funktionierende Aufsicht ist.
40 Über das Verhältnis von Parteilichkeit und Staatsnähe kommen die Richter im ZDF-Urteil zu folgender Auffassung: “Zwar sind politische Parteien und ihre Vertreter grundsätzlich nicht der organisierten Staatlichkeit zuzurechnen und üben keine Staatsgewalt aus. Bei funktionaler Betrachtungsweise sind sie im vorliegenden Kontext jedoch als staatsnah zu qualifizieren und damit den staatlichen Migliedern gleichzusetzen. Gemäß Art. 21 Abs. 1GG wirken die Parteien an der politischen willensbildung des Volkes mit… Sie sind maßgeblich auf die Besetzung von staat-lichen Ämtern ausgerichtet und haben die Aufgabe, verschiedene Positionen aggregierend und in Konkurrenz zueinander die staatliche Willensbildung vorzubereiten und diese zu vermitteln. Personen, die als Vertreter politischer Parteien entsandt werden, bewegen sich damit unweigerlich in staatlich-politischen Entscheidungszusammenhängen, eingebunden in den demokratischen Wettbewerb um Amt und Mandat” (78). „Allein die Tatsache, dass eine Person von einer gesellschaftlichen Gruppierung entsandt worden ist, bewahrt nicht hinreichend davor, dass sie durch ihre persönliche Einbindung im Übrigen nicht doch als staatsnaher politischer Akteur handelt.” Sie liefen “kaum weniger Gefahr, in Interessenkonflikte zu geraten und durch einseitige Kommunikationsinteressen geleitet zu werden, als Personen, die unmittelbar als Amtsperson selbst in die Gremien entsandt werden” (76).
41 „Wenn einem „linken“ Kommentator wird ein „rechter“ Kollege zur Seite gestellt wird, ist das sowohl nach journalistischen als auch ökonomischen Gesichtspunkten einer zu viel“ (Bertram 28f). „… es wächst mit jedem Regierungswechsel der personelle Wasserkopf in der Anstalts-Hierarchie“ (Bertram 37).
43 Belege:
- „In dem Maße… , in dem das seiner Zweckbestimmung nach regionale Programm inhaltlich prägend auf sein faktisch überregionales Publikum abgestellt wird, verliert es seine Rolle als Beitrag zur Kenntnis anderer Länder oder Regionen und wird zum konkurrierenden Angebot auf dem überregionalen Markt. Innerhalb der Bundesrepublik gerät dadurch die aufgabenteilende Ordnung und Finanzierung des föderal gegliederten öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus den Fugen. Die inhaltlich überregionale Gestaltung und Verbreitung aufgabengemäß regionaler Programme ist z.B. kaum “funktionsnotwendig” und daher schwerlich aus Gebühren finanzierbar (Bullinger 77f).
- Der langjährige Geschäftsführer des Grimme-Instituts, Uwe Kammann: „Das deutsche System ist ja richtig reich. Es ist mit Abstand das reichste System in der Welt. Da kann ich eigentlich sagen: Ich reduziere, ich konzentriere mich. Die dritten Programme haben sich vielleicht alle überlebt, all das was wir jetzt so linear kennen in diesen Gefäßen. Ich sehe im Programm viele Stellen, wo ich denke, da könnte man einsparen, das ist nicht gut eingesetzt das Geld.“ https://www.deutschlandfunk.de/oeffentlich-rechtlicher-rundfunk-vorwurf-der-einseitigkeit.691.de.html?dram:article_id=283012
44 Terschüren 88
45 Terschüren 17: „Die Höhe der Abgabe zur Rundfunkfinanzierung muss sich außerdem in einem zumutbaren, also für den Bürger erschwinglichen Rahmen bewegen, so dass die Last nicht den Zugang zum Rundfunkempfang verhindert. Denn jedes Mitglied der Gesellschaft hat das Recht, aufgrund der Informationsfreiheit an der Gesamtveranstaltung Rundfunk teilnehmen zu können.“
46 Kirchhof 17. Bulllinger 12f: „Nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG ist es den öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten verwehrt, durch eine Rundfunktätigkeit, die zur Erfüllung ihres Funktionsauftrags nicht “notwendig” ist, den Gebührenzahler zu belasten…“
47 Schneider/FAZ
48 Bertram 145
50 Peter Deutschland: „Die Wirtschaftsberichterstattung ist ja immer mehr zur Verbraucherberatung geworden. In den Häusern fehlt inzwischen das notwendige Know-how in den Fachabteilungen“ (in: Wolf 77. s. Auch 72f und Anm.2 )
51 Bertram 201
52 Rohrbach/SZ: „Das Problem heißt Intendantenfernsehen“.
53 Pressemitteilung des Bundesverbands der Film- und Fernsehregisseure: „Thesen zum Öffentlich-Rechtlichen Rundunk und seiner Fernsehfilmproduktion“: https://content1.mediabiz.de/download/bvff_0909.pdf
54 Jürgen Kasten, in: „Der Fall Heinze und die Folgen“: https://www.regieverband.de/de_DE/magazine/114121/index
55 Belege:
- Der Regisseur Edgar Reitz schreibt1993: „Das Deutsche Fernsehen besteht in seiner Führungsebene leider oft aus anachronistischer Arroganz, aus Machtgetue und Karrieregestrampel. Engagement für Inhalte findet man bei den Redakteuren, die keine Macht besitzen. Unter solchen Bedingungen ist das kultiviert Deutsche Fernsehen gefährdet“ (Meyn 140).
- Assheuer meint: „Auch vor den Intendanten dürfte eine Reform nicht Halt machen. Da sich einige von ihnen aufführen wie gebührenfinanzierte Sonnenkönige, sollten sie im Vollgefühl ihrer Souveränität endlich einen Teil ihr feudalen Allmacht abtreten“ (Assheuer).
- Hort Röper auf die Frage, wie die WDR-Hierarchen auf Kritik reagieren: Sie gebärdeten sich „wie die Fürsten“ und seien vor allem daran interessiert, „ihre Beziehungsgeflechte und Netzwerke zu pflegen“ (Bertram 218. Vgl. auch 146ff‘: Wenn der Programmdirektor Günter Struwe mit einer Bemerkung über Zykon B versucht, rhetorischen Gewinn für die quotenfördernde Verflachung von Fernsehspielen zu erzielen, könnte das anzeigen, daß er Selbstreflektion nicht gewöhnt war, weil nie jemand sich traute, ihm ehrliche Rückmeldung zu geben. Solche Machtstrukturen entstehen schnell und spontan. Sie befördern Realitätsverlust. Man darf sie nicht den Akteuren anlasten, es ist vielmehr die Kunst der Organisationsgestaltung, Teamstrukturen zu schaffen, die solche Tendenzen möglichst klein halten. – Solche Indizien von realitätsverlustfördernden Kommunikationsstrukturen sind nicht dazu angetan, die Beteuerungen des Örr ernst nehmen, die Zuschauer wollten es so trivial und anders gehe es nicht.)
56 vgl. meine Interpretation der „faustischen Verblendung“: Fausts Weigerung, der Sorge Gehör zu verleihen, d.h. unangenehme Fragen zu zu lassen: https://www.goethesfaust.com/aktualitat/inhalt/#verblendung
58 Der Verfassungsrechtler Kirchhof schreibt in seinem Gutachten über den Rundfunkbeitrag: “Eine der wesentlichen Bedingungen und Folgen verfassungskonformer Rundfunkfinanzierung ist die „Identifizierbarkeit öffentlich-rechtlicher Programme“ (Kirchhoff 50f). „Der Gesetzgeber hat Vorsorge zu treffen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk bei Erfüllung seines Auftrags …. sein Programm nicht zunehmend auf Massenattraktivität ausrichtet“ (Kirchhoff 18). – So auch BVerfG 31, 314 (329), wiedergegeben nach Terschüren 21f: „Der Staat hat nicht nur das Recht, sondern vielmehr die Pflicht, einzugreifen, sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Funktionsauftrag unzureichend erfüllen“.
59 Der Örr versucht, mit Hilfe von Statistiken faule Kompromisse bezüglich der Konflikte zwischen Quote und Qualität zu kaschieren. Freilich muß man ihm bei seinen Tricksereien folgendes zugute halten: Institutionen versuchen nunmal, ihre Intentionen zu verwirklichen, und die Frage ist: Muß es dabei immer zwanghaft korrekt zugehen oder wie viel Tricksen ist erlaubt? Das Problem beim Tricksen ist bloß: man vermeidet, daß die andern mitkriegen, was tatsächlich vor sich geht und daß sie Stellung dazu nehmen können, man bleibt allein, man begibt sich freiwillig des Korrektivs. Tricksen ist immer verbunden mit einem Mangel an Realitätsprüfung. Hat das Tricksen System, droht Realitätsverlust…
Ich habe zwei Fälle gefunden mit offenbar geschönten Statistiken: Bei einer Stichprobe kam mehr als doppelt soviel Unterhaltungsanteil heraus, wie angegeben. Die daily-soaps waren unter der Kategorie „Familie“ versteckt worden (Keese). Und von 600 Minuten Informationssendungen konnte man nur 180 gelten lassen, das waren nur 20 Minuten mehr als bei den Privaten. Die nächtlichen Wiederholungen waren mitgezählt worden (Schröder). Außerdem werden seichte Talkshows und bourlevard-Magazine mit zur „Information“ gezählt (Bertram 186). Unredlicher Umgang mit Statistik wird auch von Brenner konstatiert: „Während die eine Seite … den privaten Sendern höhere Informationsanteile bescheinigt…, wird von der anderen Fraktion … den privaten Sendern lediglich ein geringer Informationsanteil in ihrem Programm bescheinigt. … Damit wird deutlich, daß die einzelnen Statistiken tendenziell zweckgerichtet ausgewertet werden“ (Brenner 143).
60 Bertram 227: „Vergleicht Herres das öffentlich-rechtliche Programm mit den Privaten, dann käme seine Einschätzung [der Örr sei der beste der Welt] der Wahrheit durchaus nahe. Misst man es allerdings … an den Public Channels in anderen Ländern, dann schneiden viele von ihnen … mittlerweile deutlich besser ab.“ – Brenner: „Dabei vergessen sie jedoch, daß der Maßstab, der an ihr Programm gelegt wird, nicht derjenige der privaten Konkurrenz ist, sondern die Verfassung bzw. der aus ihr entwickelte Funktionsauftrag (315).
61 Bertram146. Weitere Belege: Bertram 143ff. Siehe auch Anm.
62 Keil/Süddt. Zeitung
63 Belege:
- Sternburg: „Das ist der Abschied vom Journalismus“ (zitiert nach Bertram 181).
- Ernst Elitz: „Nun beobachtet das Publikum gespannt, welche Gruppendynamik sich zwischen den Darstellern entwickelt. …Wer gibt dem andern eine mit? Wer hat die witzigsten Formulierungen parat. … Es geht zu wie bei Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ (zitiert nach Bertram 182f).
- Luc Joachimsen, ehemals Fernseh-Chefredakteurin HR„Dem Zuschauer wird vorgemacht, daß er an einem wichtigen politischen Diskurs teilnimmt, weil …wichtige Politiker in der Runde sitzen… und…die nicht gestellten Fragen und nicht gegebenen Antworten… im allgemeinen Lächeln und Durcheinanderreden nicht auffallen“ (zitiert nach Bertram 183).
- Jürgen Leinemann, Politik-Experte: „Ein ziemliches Elend“ (nach Bertram 181).
64 Peter Deutschland: „In den ersten Jahren hatten wir etliche Eingaben, in den letzten kaum noch welche. Ich führe das darauf zurück, daß die Programme seichter und konfliktärmer geworden sind“ (in: Wolf 76).
65 Belege:
- Bertram spricht von einer „…systematischen Erodierung der Auslandsberichterstattung“: „Die Berichterstattung über viele Regionen der Welt, ja sogar über Kontinente wie Südamerika und Afrika ist unterbelichtet – so wie man lieber wegschaut, wenn jemand im Hinterhof verhungert… (Bertram 195ff). – Die Berichterstattung über die Bürgerkriege in Jugoslawien streiften offenbar schon den Tatbestand der Desinformation (vgl. Bertram 207). – Natürlich hätte es keinen Sinn, Reportagen über Afrika zu bringen, und keiner schaut zu. Aber die Konsequenz dieses Dilemmas zwischen Auftrag und Attraktivität ist offenbar noch nicht systematisch diskutiert worden: Es käme darauf an, solche Themen gezielt zu fiktionalisieren, wie z.B. im Spielfilm „Blood-Diamants“. –
- Über den Niedergang des Wirtschaftsjournalismus erschien 2010 eine Studie (Wolf 75 Anm.2).
- Klaus Bednarz: „Es wird für freie Produzenten und Mitarbeiter immer schwieriger, sich an komplexe Themen zu wagen, die einen großen Rechercheaufwand bedeuten. Dieser wird von den Sendern in vielen Fällen nicht mehr finanziert. Das widerspricht dem Grundgedanken einer öffentlich-rechtlichen Anstalt“ (Bednarz/Kölner Stadtanzeiger).
66 Belege:
- Über die Regionalprogramme heißt es: „Man wurde über politische Konflikte, wie den Streit um die Startbahn West informiert… Wenn ich heute das Programm einschalte, dann sehe ich permanent Bilder von Hunden, Sprechzimmern oder Köchen. Ständig wird im Programm gekocht. An den wirklichen Problemen der Menschen zielt das völlig vorbei“ (Bertram 218)
- In einem Jahresrückblick wird „die drohende Schließung des für das Hamburger Umland immens wichtigen Phoenix-Konzerns im Sekunden-Stakkato erwähnt … die Geburt eines Elephantenbabys im Tierpark Hagenbeck ist … einen filmischen Beleg wert“ (Bertram 118).
- Ähnlich Dieter Pienkny: „Wenn die Abendschau die elektronische Zeitung dieser Stadt sein möchte, dann muß sie sich auch mit Wirtschaftsthemen befassen. Sie darf sich nicht verlieren zwischen Banalitäten wie einer gesperrten Autobahnauffahrt oder einem neuen Hasenbaby im Zoo“ (in: Wolf 72).
67 Bertram 108. – Stichwort Staatsfernsehen: Schon vor 30 Jahren bemerkte ich bei einer Autofahrt durch Bayern eine frappierende Ähnlichkeit des BR mit dem die Errungenschaften des Sozialismus preisenden Feindfunk: ich hörte, welcher Konzern wieder Arbeitsplätze geschaffen und welcher Politiker wieder einen Kindergarten eingeweiht habe. – Das klang wie Hohn auf die Beteuerungen der CSU, wie notwendig der Natonachrüstungsbeschluß für die Sicherung der Freiheit sei…
68 Günter Rohrbach: „Wir Bürger bezahlen 50 Millionen für etwas, das wir bereits hatten, ohne dieses Geld. Haben wir da ein gutes Geschäft gemacht?“ (Rohrbach /Zeit). So auch Jurek Becker bereits 1995: „Warum sollen die Leute Rundfunkgebühren bezahlen, wenn sie dasselbe auch umsonst haben können“ (Becker 158).
69 Terschüren 173: „Im Falle von beliebten Sportveranstaltungen wie dem o.g. Beispiel muss aber eindeutig festgestellt werden, dass eine Berichterstattung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schlichtweg überflüssig ist: Zum einen wurden die Fußballspiele im Free-TV ausgestrahlt und zum anderen ist es inhaltlich grundsätzlich irrelevant, ob der öffentlichrechtliche oder private Rundfunk die Berichterstattung übernimmt, da die meinungsbildende Funktion bzw. die Einflussnahme auf diese seitens des Rundfunks bei der Übertragung von Sportereignissen als gering einzuschätzen ist. … Vielmehr sollte erneut überdacht werden, ob der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weiter konkretisiert werden konnte, insbesondere mit Blick auf die Fälle, in denen eine Berichterstattung vom Privatrundfunk bereits geleistet wurde und die Qualitat zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Angebot kaum unterscheidbar wäre“. – Brenner hält Kurzberichterstattung von Sportereignissen für völlig ausreichend, um dem Grundversorgungsauftrag gerecht zu werden (Brenner 77). – Vermutlich keine repräsentative aber eine große Zahl der Bürger sehen das ähnlich (Siebenhaar 96).
– Es dürfte keine große Schwierigkeiten bereiten, die teuren Sportübertragungen doch als „Grundversorgung“ zu rationalisieren. Bei solchen Rationalisierungen zeigt sich aber immer wieder, daß sie andere Rationalisierungsmöglichkeiten unterschlagen: die Frage ist nicht, ob etwas irgendwie unter den Mantel der Grundversorgung rationalisiert werden kann, sondern: was ein größeres Anrecht darauf hätte. Wie wärs, die Kosten für Fußball mal für die Entwicklung wirklich ebenso massenattraktiver wie gehaltvoller und künstlerisch wertvoller Serien wie „the wire“ zu verwenden?
Wie wenig der Örr selbst an die Überzeugungskraft seiner Programmentscheidung glaubt, zeigt, daß die Intendanten offenbar einen so hohen zusätzlichen Begründungsbedarf sehen, daß sie sich nicht entblöden, selbst absurdeste Rationalisierungen dafür heranzuziehen: Die Intendanten Marmor und Bellut halten es beide für klug, soviel Geld dafür auszugeben, weil dann die Jugend auch mal in den Genuß einer heute-sendung käme (Marmor/Spiegel, Bellut/Zeit).
70 Brenner 64: „Der klassische Rundfunkauftrag wird ausschließlich durch ein inhaltlich umfassendes Programm, welches die Gesamtheit der Bevölkerung anspricht, erfüllt“. Zielgruppenfernsehen ist nicht verfassungsgemäß (312).
71 Jurek Becker: „Indem die Rundfunkanstalten sich damit begnügen, den Publikumsgeschmack zu erkunden und ihm hinterherzulaufen, produzieren sie ihn zugleich…. Sie sind in hohem Maße selbst für die Geist- und Geschmacklosigkeiten verantwortlich, die zu senden die Publikumsnähe ihnen angeblich gebietet“ (Becker 160). – Es offenbart sich ein erstaunlicher Missverstand in der Auffassung, daß sie als „demokratische Einrichtung“ den Auftrag hätten, der quotenträchtigsten Bevölkerungsgruppe gefällig zu sein, weil sie sonst eine „Spielwiese für Privatgeschmack“ würden. Der demokratische Auftrag ist: daß der Rundfunk ein Korrektiv sei zu demokratiegefährdenden Tendenzen in Politik und Gesellschaft. – Das Private ist konstitutiver Bestandteil des Öffentlichen. Öffentlichkeit bedeutet: die Beschränktheit des Privaten durch Austausch durchlässig zu machen. Und Publizistik ist die Kunst, Quote für diesen Austausch herzustellen, statt subkollektive Beschränktheiten zu duplizieren. – Außerdem: Die Redakteure haben auf Kosten der Steuerzahler ein Studium genossen. Es geht darum, daß sie dieses Potential an gesellschaftlich verfügbarem Wissen und gesellschaftlich verfügbarer Reflexionskompetenz, in dem Maße, wie sie an ihm teilhaben, der Gesellschaft wieder zur Verfügung stellen, sonst privatisieren sie ihren steuerlich subventionierten Bildungsvorteil. – Die von Becker mitgeteilte Redakteursaussage könnte ein weiteres Indiz dafür sein, daß es im Örr ein erhebliches karriereförderndes Defizit gibt an Grundlagenreflexion über Aufgabe, Möglichkeiten und Grenzen medialer Kommunikation in modernen Gesellschaften. –
– Im Übrigen gilt für eine anspruchsvolle Sendung das gleiche wie für die Rundfunkabgabe: die Zuschauer müssen sie nicht begrüßen, aber einsehen, warum es sie geben muß (Kirchhoff 55).
– Die Quotenfixierung des Örr erinnert an eine Geschichte N. Leskows, wo ein Missionar seine Taufquote erhöht, in dem er die Heiden besoffen macht – zur Freude der „Hierarchen“… (N.Leskow, „Am Ende der Welt“.)
77 Bayernurteil Satz 98
78 BVerfGE 90, 60 – 8. Rundfunkentscheidung, 144f
79 z.b. Meyn 126; Dieter Pienkny in Wolf 70ff; Interview mit Jobst Plog (Plog/SZ)
80 zum Begriff „kumulative.Effekte selektiver Deprofessionalisierung.“ s. Anhang 2
81 Die bisherigen Vorschriften seien nicht geeignet, „das aus dem engen Zusammenhang von Programmfreiheit der Rundfunkanstalten und finanzieller Gewährleistungspflicht des Staates herrührende Dilemma… aufzulösen, dass es an hinreichend bestimmbaren inhaltlichen Kriterien für die Gebührenentscheidung fehlt.“ (BVerfGE 90, 60 – 8. Rundfunkentscheidung 177)
83 Es gibt keinen potenten medialen Verbraucherschutz. Wir sollen für ein Angebot bezahlen, das wir nicht ablehnen können wegen eines Qualitätsversprechens, dessen Einlösung wir nicht einklagen können. Das klingt nicht nach Rechtsstaat sondern nach Mafia. – Vollzugsfähigkeit ist nur gegeben, wenn die Bürger die Leistungen der Rundfunkaufsicht einsehen können, wenn dokumentiert wird, welche Vorschläge der Funktionäre diskutiert wurden, welche Einwände der Gremien Berücksichtigung fanden, mit welchen Gründen Einwände abgelehnt wurden und wie die Gremien darauf reagiert haben, mit welchen Mitteln die Gremien Veränderungsvorschläge auf Sachlichkeit und Notwendigkeit überprüft haben und was unterlassen wurde. – Die Zulänglichkeit der korrektiven Prozesse muß einklagbar sein. Notwendig sind dabei:
(1) Transparenz: “Der Öffentlichkeit kommt insoweit eine wesentliche, die interne institutionelle Kontrolle ergänzende Kontrollfunktion zu” (BVerfG, 1 BvF 1/11 vom 25.3.2014. 84). – Kirchhof: „Jeder Beitragsschuldner hat einen Anspruch darauf, zu wissen, was mit seinem Geld geschieht, welche Sendung für welche Summen gekauft und produziert wird. … Der Informationsanspruch betrifft den Einfluss des Geldes auf das öffentlich-rechtliche System. Daher sollten Zahlungen, die Mitwirkende an einer Sendung befangen machen könnten, offengelegt werden. Dabei sollte keine Rolle spielen, wie die Person arbeitsrechtlich im Sender eingegliedert ist“ (Kirchhof/FAZ).
(2) Konkretisierung: „Nur durch eine Konkretisierung des Funktionsauftrages kann der Gesetzgeber, die öffentlich-rechtlichen Anstalten selbst und der Bürger nachprüfen, ob die verfassungsrechtlichen Vorgaben tatsächlich erfüllt werden oder ob es Veränderungen im Fernsehprogramm oder sogar im Rundfunksystem bedarf.“ (Brenner 258). – Bullinger sieht verschiedene Möglichkeiten, die Vollzugsfähigkeit durch Konkretisierungen zu verbessern, die die Rundfunkfreiheit nicht grundgesetzwidrig einschränken, z.B. „Auflagen für die Sendezeiten, etwa in der Weise, daß kulturelle Sendungen in bestimmtem Umfang zu den Hauptsendezeiten zu bringen sind“ (Bullinger 82). – Die Gefährdung der grundgesetzlich geforderten Rundfunkfreiheit durch solche Maßnahmen hält er für ein Mißverständnis: „Möglicherweise beruht diese Zurückhaltung darauf, daß man die Rechtsprechung des BVerfG unter Verallgemeinerung einzelner Textstellen dahin interpretiert hat, die Programmfreiheit sei so gut wie absolut geschützt, so daß es überhaupt unzulässig oder außerordentlich bedenklich sei, Quoten [gemeint ist eine Quote für Qualitätssendungen W.L.] und Sendezeiten gesetzlich vorzuschreiben“ (Bullinger 82). Er nennt Bedingungen, unter denen solche Konkretisierung nach der Rechtsprechung des BVerfG zulässig seien:
– da, wo Präzisierung und Konkretisierung notwendig seien, um besondere Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu verdeutlichen …
– wenn eine „autonome, kooperative oder kommissionsmäßige Präzisierung“ nicht gelinge,
– wenn die Konkretisierung so geleistet werden könne, daß dadurch „weder offen noch verdeckt politischer Einfluß auf die Programmgestaltung“ ermöglicht würde.
– wenn dadurch „der öffentlich-rechtliche Rundfunk … nicht ohne tragenden Grund von bestimmten räumlichen oder sachlichen Bereichen ganz ausgeschlossen“ werde (Bullinger 107ff).
Auf diese Weise scheint es Bullinger prinzipiell legitim, „für einen angemessenen Prozentsatz der im Abendprogramm gezeigten Filme eine bestimmte Qualitätsstufe vorzuschreiben, wenn anders ein Mindestmaß an Vorbildwirkung nicht erreichbar erscheint…“ (Bullinger 110).
Er schlägt auch Maßnahmen vor, um Kommunikation und Verbindlichkeit als Korrektiv zu fördern: „Der Öffentlichkeit, dem Parlament oder einem Aufsichtsgremium gegenüber könnte jede Anstalt im Wege der Selbstverpflichtung funktionsgerecht konkretisierte Programmbindungen übernehmen, nach dem Muster der BBC, mit jährlicher Berichts- und Überprüfungspflicht. Dabei wäre es möglich, mehr noch als bisher die Wünsche der Rundfunkteilnehmer durch regelmäßige Anhörung und Erörterung sowie durch Bearbeitung von Beschwerden in Erfahrung zu bringen und zu berücksichtigen“ (Bullinger 111).
Anhang 1
Kumulative Effekte selektiver Deprofessionalisierung?
Kumulativ sind Prozesse der Deprofessionalisierung, wenn der Fachverstand der zahlenmäßig immer geringer vertretenen Professionen immer weniger zum Zuge kommt und immer öfter überstimmt wird und so die Illusion seiner zunehmenden Irrelevanz, ja, Bedeutungslosigkeit entsteht. Das führt dazu, daß dieser Fachverstand immer schneller immer weniger ernst genommen und für relevant angesehen und immer weitgehender wegrationalisiert wird. Belege bei Betram:
„Beim WDR-Fernsehen hat man im kulturellen Bereich mit einem Schlag drei eminent wichtige redaktionelle Planstellen gestrichen: für Literatur, bildende Kunst und Film“ (Bertam 152). Und er zitiert Bednarz: „Dabei war dieser Sender mal einer der bedeutensten Kulturträger Europas“ (ebd.).
„Es gehört zu den tragischen Entwicklungen des Systems, dass viele Führungskräfte gar nicht um die Schätze in ihren Häusern wissen. Es werden Ressourcen vergeudet und Mitarbeiter in die innere Kündigung getrieben“ (Medienexperte Christian Floto, nach Bertram 203).
Im journalistischen Bereich gibt es offenbar etwas vergleichbares, so etwas wie eine Deprofessionalisierung der Informationsästhetik: Bertram berichtet von einer Journalistenschulung, in der vermittelt wurde, O-Töne dürften nicht länger als 20 Sekunden sein. Ignoriert würde dabei aber, daß der Mensch schon 10 Sekunden zur „Personenorientierung“ brauche, „die verbleibenden 10 Sekunden reichen nicht aus, um die Aussage im Kurzzeitgedächtnis zu etablieren. … Bei einer Aussage von 20 Sekunden … rauscht der Inhalt also komplett am Rezipienten vorbei“ (206). – Genau genommen dürften Formate mit Darbietungsformen, die wahrnehmungspsychologisch so strukturiert sind, daß sie Inhalte gar nicht vermitteln können, für die Erfüllung des Informationsauftrags nicht gewertet werden (s. auch 2.5.1.4).
Als Folge der Deprofessionalisierung konnte keine „Schule“, kein „Kunst“ entwickelt werden, Attraktivität anders zu leisten als die Privaten zu imitieren mit ihrer Kombination von Überreizung und Unterforderung. Und jetzt ist der Örr da mindestens 30 Jahre im Rückstand. Deshalb scheint es so unrealistisch, unter den gegebenen medialen Bedingungen Alternativen zu Trivialisierung zu finden.
Möglicherweise ist selbst für die Führungskräfte des Örr nicht mehr einschätzen, was wirklich los ist, möglicherweise haben sie sich an eine Lauheit akklimatisiert. Wenn ich an die Interviews mit Marmor, Plog, Bellut und Herres, denke, an die Memoiren von Udo Reiter aber auch an das Gespräch zwischen Reich-Ranitzky und Gottschalk oder Jurek Beckers Bericht über seine Erlebnisse mit Redakteuren, dann mutet mir das an, als ob die Funktionäre aus einem Tal der Ahnungslosen stammen: ahnungslos betreffs der Möglichkeiten des Menschen. Das würde sie nicht diskreditieren, im Gegenteil: es wäre ein Zeichen hohen und verantwortungsvollen beruflichen Engagements, das keine Zeit ließ, sich viel mit Anderem zu beschäftigen. Und wenn sie in eine Institution hineingeraten, in der es vor allem auf den Führungsebenen keine Kultur der Inspirierbarkeit gibt – was Sprüche wie die Struwes nahelegen (s. Anm.55) – dann bleibt es bei ihrer Ahnungslosigkeit, ohne daß sie allein dafür verantwortlich wären.
Ich vermute, der Bildungsstand der Führungskräfte des Örr wird über Bildungsbürgerlichkeit nicht hinausgehen, für was anderes bleibt denen wahrscheinlich gar keine Zeit. Bildungsbürgerlichkeit ist Gewöhnung an Kulturgüter als Kulisse, statt daß sie von den Kulturwerken viel begreift. Der frühere Bundespräsident Carl Carstens wollte in einem Fernsehportrait seine Bildung demonstrieren, in dem er eine Platte mit dem Schubertstreichquintett auflegte und dann in einem Buch zu lesen begann. Deutlicher hätte er seine Unbildung nicht offenbaren können. – („Bildung“ ist ein seltsames Privileg: eines das sich in unsern reichen Ländern jeder beschaffen könnte, über 85% der Menschen sind intelligent genug dafür, es ist also ein Privileg, das im Grunde nur darin besteht, an ihm interessiert zu sein.) – Ich schätze, daß es noch genügend wirklich gebildete Redakteure im Örr gibt. Aber es gibt offenbar keine Führungskräfte, die auch nur genügend Schimmer von Bildung haben, um ermessen zu können, welche Schatzführer sich in ihren Reihen befinden. Das Ziel muß nicht sein, daß hinterher mehr Leute Beethoven hören, daß ist ein Mißverständnis des Bildungs- und Kulturauftrags. Sondern das Ziel ist: Enkulturation, Verbreitung einer Ahnung vom Reichtum des Menschlichen, von dem kulturell und zivilisatorisch verfügbaren „Geist“: der Möglichkeiten eines nicht-schmonzettenhaften Umgangs mit Themen wie Schuld, Neid, Tod – Modelle sozial intelligenten Modulierens eigener Antriebe – Anregungen zur bewußteren Gestaltung des eigenen Lebens usw. – Dazu kann eine unzensierte Folge von „Liebling Kreuzberg“ weit tauglicher sein als eine Dokumentation über Goethe, in der mal wieder über sein Verhältnis zu Frau von Stein spekuliert wird, nicht anders als in einem Bourlevar-magazin über George Clooneys neue Liebe. – Wie gesagt: 15% fahren Ferrari, 70% Porsche: so hat Mutter Natur die Menschheit mit Intelligenz ausgestattet. Aber der Örr bietet nicht mal ausgebaute Landstraßen an, geschweige denn Autobahnen. Mehr als mal auf 50 zu beschleunigen ist auf seinen Landwegen nicht drin.
Was wird der Öffentliche-Rechtliche Rundfunk wohl unternehmen, damit nach Einführung des Beitrags auf seine Funktionäre nicht irgendwann zutrifft, was der Kaiser den Hofschranzen hinwirft: „Ich hoffte Lust und Mut zu neuen Taten, doch wer Euch kennt, der wird Euch schnell erraten: Trotz aller Schätze Flor, wie ihr gewesen, bleibt ihr nach wie vor“ …
Anhang 2: Ergänzungen
Da wird ein Entertainer mit 2,7 Millionen Euro abgefunden, wenn seine Show floppt (Quelle: FAZ 26.05.15 S.16 „Wen der Geldsegen trifft“.) So bedingungslos und auf Gedeih und Verderb muß der ÖRR um quotenträchtige Namen verhandeln und mit ihnen spekulieren!
Ich halte es rechtlich für unabdingbar, daß der ÖRR belegt, was er seit Einführung des privaten Rundfunks unternommen hat, um ein derartiges Angewiesensein auf Quotenkauf zu verhindern. Die Entwicklungsgarantie hat er offenbar dafür mißbraucht, die Mehreinnahmen zum Überbieten im Quotenkauf zu verwenden – und weil er damit die Preise in die Höhe treibt, braucht er immer mehr „Entwicklungsgarantie“.
Seine Aufgabe wäre es gewesen, systematisch quotenträchtige Attraktoren zu entwickeln, die als Produkt eines nicht-kommerziellen ÖRRs identifizierbar sind. – Falls der ÖRR bezüglich gezielter und systematischer Entwicklung identifizierbarer Attraktoren nach mehr als 30 Jahren nicht viel vorzuweisen hat, gebietet die Einführung eines nutzungsunabhängigen Beitrags, das Rundfunksystem daraufhin zu untersuchen, welche strukturellen Verbesserungen nötig sind, damit die Fehlentwicklungen rückgebaut und zukünftig unterbunden werden.
Die fragwürdige Politisierung der Gremien war allen Verantwortlichen lange bekannt. Ebenso die Notwendigkeit der Umstellung der Rundfunkfinanzierung auf eine nutzungsunabhängige Abgabe, die höhere Legitimationsansprüche als eine Nutzungsgebühr impliziert. Die Verantwortlichen hätten genug Zeit gehabt, die Ungereimtheiten zu bereinigen. Ein nicht verfassungsgemäß aufgestellter Rundfunk hat keinen Anspruch auf eine nutzungsunabhängige Abgabe. Es hat bisher noch niemand gefragt, wieso Politik und Rundfunk für ihre Verfehlung nicht gerade stehen müssen.
Die Unausweichlichkeit der Rundfunkabgabe ist verwandt mit der Unausweichlichkeit der steuerlichen Abgaben. Dem muß auch eine analoge demokratische Kontrolle entsprechen. Das jetzige Gremienmodell ist nie evaluiert worden und erscheint in seiner Gruppenstruktur fragwürdig und manipulierbar, da per Rundfunkgesetz von den jeweiligen Regierungen die Zusammensetzung geändert werden kann.
Ohne weitere empirische Ermittlungen wird die Rundfunkrechtsprechung auf Dauer dem Unterfangen gleichen, eine Theorie anhand der Theorie zu überprüfen. Recht und Rundfunk verlieren dann gleichermaßen an Glaubwürdigkeit.
Der Rundfunk ist zum Funktionärsfunk mutiert: „Wulf-Mathies bescheinigt dem WDR „strukturelle Defizite“. Bei der Vergabe von Führungspositionen werde zu wenig Wert auf soziale Kompetenz und charakterliche Eignung gelegt. Außerdem würden die dezentralen Arbeitsstrukturen ein „Eigenleben in den Direktionen“ fördern. Viele ihrer Gesprächspartner in den vergangenen Wochen hätten diese „Silo-Strukturen“ kritisiert, die zur Abschottung und Verfestigung hierarchischer Abhängigkeitsverhältnisse führten“ (tagesspiegel).
Literatur
Assheuer, Thomas: Fernsehen. Kopfsprung ins Seichte. Zeit online, 8.1.2004,
„Bayernurteil“: Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 15. Mai 2014
Becker, Jurek, Die Worte verschwinden. In: Spiegel 2/1995 S. 160
Bellut, Thomas: Interview in der „Zeit“ vom 23.5.2013, S.13ff.
Bertram, Jürgen, Mattscheibe, das Ende der Fernsehkultur. Frankfurt a.M. 2006
Bednarz, Klaus: „Ich vermisse die Staatsferne“, Interview im Kölner Stadtanzeiger 6.6.2012: https://www.ksta.de/medien/klaus-bednarz–ich-vermisse-die-staatsferne-,15189656,16688450.html
Brenner, Christian: Zur Gewährleistung des Funktionsauftrages durch den öffentlichrechtlichen Rundfunk. Eine Konkretisierung der Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Fernseh-, Hörfunk-und Online-Bereich. TENEA Verlag für Medien, Berlin 2002
Bullinger, Martin: Die Aufgaben des öffentlichen Rundfunks. Freiburg 1998
Bundesverbands der Film- und Fernsehregisseure, Pressemitteilung: „Thesen zum Öffentlich-Rechtlichen Rundunk und seiner Fernsehfilmproduktion“: https://content1.mediabiz.de/download/bvff_0909.pdf
Grätz, Reinhard: Gremien in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Entscheidungsträger oder Erfüllungsgehilfen? Köln 2002
Kasten, Jürgen, in: „Der Fall Heinze und die Folgen“: https://www.regieverband.de/de_DE/magazine/114121/index
Keese, Christoph: https://www.presseschauder.de/die-trugerischen-programmstatistiken-des-kef-berichts/
Keil, Christopher: „Woher der öffentlich-rechtliche Kitsch kommt“. Süddt.Zeitung vom 26.7.2012:https://www.sueddeutsche.de/medien/kritik-am-deutschen-fernsehfilm-woher-der-oeffentlich-rechtliche-kitsch-kommt-1.1163824
Kirchhof, Paul: Gutachten über die Finanzierung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks, Heidelberg 2010 – ders.: Interview in FAZ vom 19.01.2013: „Der Rundfunkbeitrag ist wie eine Kurtaxe“.
Krebs, Christian: Medienrecht, Staatsferne, e-book, GRIN-Verlag GmbH 2000
Plog Jobst: Interview mit Hans-Jürgen Jakobs in der Süddt.Zeitung vom 17.5.2010: https://www.sueddeutsche.de/kultur/ndr-chef-jobst-plog-im-interview-niemals-weniger-frei-sein-1.332194
Mamor, Lutz: Interview mit dem „Spiegel“, Spiegel 2/2013 S.124ff
Meyn, Hermann: Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1996
Rohrbach, Günter, zitiert in einem Zeitartikel: Die Zeit (https://www.zeit.de/2013/22/oeffentlich-rechtliches-fernsehen-verwendung-gebuehren/seite-2) –
– ders. in der Süddt.Zeitung vom 17.10.2011: https://www.sueddeutsche.de/medien/zur-misere-der-oeffentlich-rechtlichen-das-problem-heisst-intendantenfernsehen-1.1170662
Schneider, Norbert: FAZ: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/oeffentlich-rechtliches-fernsehprogramm-das-fiktionale-muss-auf-platz-eins-stehen-12271421.html
Schnibben, Cordt: Die ARD ist wie die DDR. In: Spiegel vom 13.11.1989: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13497229.html
Schröder, Guido: Öffentlich-rechtliche Anbieter im Dilemma zwischen Massengeschmack und Gemeinwohl, in: Dirk Wentzel (Hg.), Medienökonomik, Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft · Band 89 · Stuttgart · 2009
Schulz, Wolfgang (Hrsg.): Staatsferne der Aufsichtsgremien öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. Materialien zur Diskussion um eine Reform. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut, Juni 2002
Siebenhaar, Hans-Peter: Die Nimmersatten. Köln 2012
Terschüren, Anna: Die Reform der Rundfunkfinanzierung in Deutschland, Analyse der Neuordnung und Entwicklung eines idealtypischen Modells. Universitätsverlag Ilmenau 2013
Tiechky, Claudia: Es was einmal eine Medienpolitik. Süddt.Zeitung 13.3.2014: https://www.sueddeutsche.de/medien/oeffentlicher-rechtlicher-rundfunk-gruselig-gestrige-groschenoper-1.1911084-2
Wolf, Fritz: Im öffentlichen Auftrag. Selbstverständnis der Rundfunkgremien, politische Praxis und Reformvorschläge. Studie der Otto-Brenner-Stiftung, Frankfurt a.M. 2013